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Satire

Stellenanzeige

Pflegekraft für Seniorenresidenz gesucht!

Nach 25 Dienstjahren müssen wir unsere examinierte und hochgeschätzte Pflegekraft Mareike entlassen. Der Grund ist nicht sie selbst, sondern ihre Tante Erika: Tante Erika ist Bewohnerin unseres Hauses, mobil und sehr auf Mareike fixiert. Die derzeitigen Pandemie-Maßnahmen erlauben jedoch nur eine Stunde Besuch am Tag durch Angehörige. Und Mareike ist eine Angehörige – verstehen Sie? Also haben wir zuerst versucht, Mareike vor ihrer Tante zu verstecken, was uns leider nicht gelungen ist. Da wir viel Geld mit Erika verdienen und für Mareike ausgeben, war klar: Mareike muss weg und eine billige Ersatzkraft her. Eine, die Mareike vollständig ersetzen kann. Und vielleicht suchen wir ja genau Sie!

Achtung: Die Stelle ist befristet bis zum Ende der Pandemie oder von Tante Erika.

Tante Erika ist der Grund, wieso ihre Nichte Mareike gefeuert wurde und wir  nach einer neuen Pflegekraft suchen.
Tante Erika auf der Suche nach ihrer Nichte

Was Sie uns bieten / Ihre Aufgaben

  • Um Tante Erika und die anderen Heimbewohner nicht noch zusätzlich zu verwirren, sollten Sie als neue Pflegekraft Mareike so ähnlich sehen und sein wie möglich: 47 Jahre, kurze rote Haare, Brille (Attrappe ist auch okay), 1,65 m, Konfektionsgröße 42, Schuhgröße 43, Körbchengröße 90 C, Raucherin, der wir das Rauchen aber während des Dienstes verbieten. Von Vorteil wäre auch eine Diabetes-Erkrankung, auf die wir ebenfalls keine Rücksicht nehmen werden.
  • Ein abgeschlossenes Medizinstudium bevorzugt im Bereich Zahnmedizin. Alternativ: ein Grundschul-Abschluss mit einem Notendurchschnitt von mindestens 4,0.
  • Das Einverständnis auf ein unbezahltes, zweijähriges Vor-Praktikum und im Falle einer Übernahme die Bereitschaft auf bis zu 240 unbezahlte Überstunden im Jahr. Die Bereitschaft, bis zu 23 Stunden am Tag seine eigene Maskenluft zu atmen.
  • Grundkenntnisse im Uhren-Lesen, damit Sie pünktlich zwei Stunden vor Schichtbeginn auf der Arbeit erscheinen. Offizieller Arbeitsbeginn ist immer morgens um 06.00 Uhr. Außer an Sonntagen. Da geht’s bereits um 05:30 Uhr los.
  • Kreativität und körperliche Belastbarkeit, denn die Bewohner*innen müssen mit zwei Meter Abstand gewaschen und gekämmt werden.

Was wir Ihnen bieten:

  • First things first: die Moneten. Bei uns werden Sie zum Topverdiener! Von den 1 200 Euro Brutto-Monatsgehalt können Sie sich auch als alleinerziehende Mutter neben der Villa und dem Traumurlaub auf Balkonien vielleicht sogar das Pausenbrot für Ihre Kinder leisten! Mehr als das ist in Corona-Zeiten ohnehin nicht drinnen!
  • Faire Arbeitszeiten und eine Wohlfühlatmosphäre: Durch ein riesiges Team von bis zu einer examinierten Fachkraft, zwei ungelernten Hilfskräften und drei Kurzzeitpraktikanten pro Schicht ist die kompetente und stressfreie Pflege für 387 Bewohner gewährleistet. Und das für 28 Stunden am Tag – denn so lang wird Ihnen eine Schicht vorkommen.
  • Da Demenz kein Wochenende kennt, dürfen Sie sich aufgrund der Weglauftendenzen mancher Bewohner auf einige spannende Such- und Wiedereinfangaktionen freuen – bevorzugt nach Feierabend. (Natürlich alles mit Maske, Desinfektionsmittel und Abstand.)
  • Neben der normalen Schlafeinsparenden Schichtarbeit warten auf Sie zusätzliche Arbeitstage an jedem Feiertag sowie dem jeweils 1., 2., 3. und 4. Wochenende im Monat.
  • Urlaubsanspruch haben Sie im Falle einer Covid19-Erkrankung oder dem eigenen Tod.
  • And last but not least: Der Beruf des Altenpflegers gilt aktuell als ein absolutes Statussymbol! Sie erwarten Standing-Ovations von Balkonen und Fenstern.

Haben wir Sie überzeugt und erfüllen Sie all unsere Kriterien? Dann bewerben Sie sich sofort!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift “Eulenspiegel” in Ausgabe 1/2021.

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Epigramme Gedanken Gedicht

Über Prioritäten

Immer nach vorne und nie zurück; greif nach den Stern’n auf der Leiter!

Das sagte wer, der war stets müde, gestresst, aber nie heit’r.

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Interviews

Missbrauch: der Kampf danach

Interview mit Rachel

Ursprünglich habe ich dieses Interview mit Rachel über ihren Missbrauch und das Danach für die Zeitschrift Klartext geführt. Mit freundlicher Genehmigung von beiden Parteien veröffentliche ich nun das Ergebnis in seiner längeren Version auch hier.

Ich betone ausdrücklich, dass dieser Beitrag aufgrund seiner expliziten Beschreibungen nicht für Kinder und Jugendliche geeignet ist. Für alle Betroffenen sexualisierter Gewalt gilt eine Triggerwarnung.

Missbrauch: der Kampf danach – das Interview
Rachel: eine Überlebende sexuellen Missbrauchs

Rachel, du wurdest als Kind mehrfach sexuell missbraucht. Welche Erinnerungen hast du, von denen du uns erzählen möchtest?

Rachel: Der Missbrauch geschah an den Wochenendbesuchen bei meinem Vater. Es gab dort einen Mann, der mich missbraucht hat. Ich weiß aber nicht, wer er war. Er hat mich, meine Stiefschwester und einen Hund für den Missbrauch benutzt. Ich erinnere mich daran, wie jemand auf meinem Gesicht sitzt und ich keine Luft bekomme. Ich erinnere mich an den Geschmack von Urin und an Hände, die mich gegen den Boden drückten, während jemand anderes sich sexuell an mir verging. Sie haben Erdnussbutter über unsere Körper gestrichen. Wenn der Hund nicht das getan hat, was er tun sollte, haben sie ihn solange gefoltert, bis er geblutet hat. Bis zu meinem 13. Lebensjahr habe ich dann selbst Tiere gequält und gefoltert.

Ich erinnere mich an den Geschmack von Urin und an Hände, die mich gegen den Boden drückten, während jemand anderes sich sexuell an mir verging.

Rachel über ihren Missbrauch

Wenn man in einer Großstadt spazieren geht und es regnet, dann steigt immer so ein Geruch von Hundeurin auf. Den kann ich bis heute nicht ertragen. Da bekomme ich Flashbacks. Dasselbe passiert bei einer feuchten Hundezunge an meiner Haut, wenn ich einen Hund jaulen höre oder wenn ich Blut rieche. Früher konnte ich mich nicht einmal zusammen mit einem Hund in einem Raum aufhalten. Doch nach einer speziellen Therapie geht das wieder. Ich bin zwar immer noch kein Hundefreund, doch hassen tue ich Hunde jetzt auch nicht mehr.

Missbrauch: der Kampf danach  – ein Interview
Rachel leidet an Flashback

Das “Interessante” an meinen Erinnerungen ist, dass ich zuerst gar keine hatte. Ich erinnere mich auch jetzt nicht einmal an Geburtstage, Weihnachtsfeiern, einfach an gar nichts, was vor meinem 8. Lebensjahr stattgefunden hat. Das liegt an der dissoziative Amnesie, an der ich leide. Mein Gehirn verschließt die traumatischen Erlebnisse meiner Kindheit vor mir – zu meinem eigenen Schutz. Es ist so, als ob ich vor meinem 8. Lebensjahr gar nicht existiert hätte. Die meisten bruchstückhaften Erinnerungen kamen erst in meinen frühen 20ern wieder. Manche kamen von allein, andere wurden durch bestimmte Trigger wie Gerüche, Geschmacksrichtungen oder Geräusche ausgelöst. Die erste nicht verdrängte Erfahrung, die ich hatte, war mein Selbstmordversuch mit 8 Jahren.

Was gibt dir den Mut dazu, mit deiner Erfahrung an die Öffentlichkeit zu gehen? Und was ist deine Motivation dabei?

Rachel: Auch ich hätte vor 10 Jahren noch nicht öffentlich über meinen Missbrauch sprechen können. Ich musste erst daran arbeiten, an mir arbeiten und bin auch heute noch nicht komplett gesund. Aber ich kann jetzt zumindest darüber sprechen, was mir passiert ist. Obwohl: Es gibt sie immer noch Dinge, die so schlimm für mich sind, dass ich noch nicht über sie sprechen kann. Damals hätte ich mir aber jemanden gewünscht, der so etwas selbst erlebt hat und mir Mut zum Weitermachen gegeben hätte. Jemanden, der meinen Schmerz verstanden hätte. So jemand möchte ich jetzt für andere sein.

Wieso hast du deinen Eltern damals nicht von dem Missbrauch erzählt?

Rachel: Gerade, weil mir die Erinnerungen an diese Zeit fehlen, kann ich nicht genau sagen, weshalb ich damals nichts erzählt habe. Ich vermute, dass es an der schwierigen Beziehung zu meiner Mutter gelegen hat. Ich hatte kein richtiges Vertrauen zu ihr. Jahre nach dem Missbrauch fand ich heraus, dass ich sie immer angefleht habe, nicht zu meinem Vater gehen zu müssen. Sie dachte aber, dass ich einfach meine Stiefmutter nicht mögen würde oder so und hat mich deshalb trotzdem hingefahren. Meine Mutter musste damals selbst viel Traumatisches durchmachen. Ich glaube nicht, dass sie in der Lage gewesen ist, zu verstehen, was da mit mir passierte.

Bereits in der dritten Klasse hatte ich Sex mit meinen Freunden, dachte aber, dass das ganz normal sei. Ich wusste nicht, dass es da etwas zu erzählen gibt. Deshalb konnten meine Eltern auch nicht reagieren.

Es gab aber andere Signale dafür, dass etwas nicht mit mir stimmte. So habe ich mir zum Beispiel meine Haare büschelweise vor dem Spiegel ausgerissen und dann gegessen. In der zweiten Klasse habe ich unangemessene Bilder gemalt, woraufhin mein Lehrer das Jugendamt informiert hat. Meine Mutter gab mich deshalb später in Behandlung. Das rechne ich ihr positiv an.

Missbrauch: der Kampf danach  – ein Interview
Rachel hatte bereits in der dritten Klasse Sex mit ihren Freunden

In dieser schrecklichen Zeit, sagt du, bist du Gott zum ersten Mal begegnet. Wie sah diese Begegnung aus?

Rachel: Als ich neun Jahre alt war, bekam meine Mutter einen Anruf von einem Bekannten, der unbedingt vorbeikommen und für meinen Schutz beten wollte. Das tat er dann auch. In der darauffolgenden Nacht wachte ich plötzlich auf, weil ich seltsame Geräusche gehört habe. Von meinem Türrahmen aus konnte ich direkt in das Schlafzimmer meiner Mutter sehen: Ein nackter Mann lag auf ihr! Er bemerkte mich erst nach einer Weile. Als er sich zu mir umgedreht hat, schaute er so, als ob er über mir ein Gespenst gesehen hätte. Dann rannte er vollkommen verängstigt und nackt aus dem Haus raus.

Später erzählte mir meine Mutter, dass der Einbrecher sie schon eine Weile lang gestalkt habe und einiges über uns und ihren Tagesablauf gewusst habe. Als sie aufgewacht sei, habe der Mann bereits nackt auf ihr gelegen und ihr damit gedroht, ihre Kinder zu töten, wenn sie nicht leise sei. Ihr einziger Gedanke sei gewesen, Gott um Hilfe zu bitten. Als ich dann im Türrahmen stand, habe meine Mutter über mir ein sehr helles Licht gesehen. Vor diesem Licht muss der Mann wohl weggerannt sein …

Von da an wusste ich, dass es etwas Größeres gibt. Ich wusste zwar noch nicht, was oder wer das war, und hatte auch keine Lust, damit in Kontakt zu treten, wusste aber, dass es uns beschützt hatte. Heute bin ich mir sicher: Gott hatte einen Engel geschickt. Gott zeigte mir damals, dass es ihn gibt. Danach ist es mir nie wieder gelungen, an Gottes Existenz zu zweifeln – wie sehr ich es auch versucht habe.

Heute bin ich mir sicher: Gott hatte einen Engel geschickt. Gott zeigte mir damals, dass es ihn gibt.

Rachel über ihre erste Gotteserfahrung
Missbrauch: der Kampf danach  – ein Interview
Rachel macht mit neun Jahren ihre erste Gotteserfahrung

Sexueller Missbrauch, Kriminalität, Armut, Scheidung deiner Eltern und der Tod deines Vaters, als du erst zehn Jahre alt warst: Wie hat das alles deine Entwicklung als Kind geprägt?

Rachel: Da ich weder eigene Erinnerungen an unser Zusammenleben als Familie noch an die Trennung meiner Eltern oder an meinen Missbrauch habe, ist das schwer zu sagen. Auf jeden Fall aber negativ! Von der Kriminalität in meiner eigenen Familie erfuhr ich erst sehr spät – genauso auch von dem Missbrauch meiner Mutter durch meinen Vater.

Meine Mutter hat geglaubt, ich hätte ihren Missbrauch und den meines Bruders mitbekommen und mich deshalb so auffällig verhalten. Sie hat daraus nicht den Rückschluss ziehen können, dass ich selbst missbraucht worden bin.

Als ich herausgefunden habe, was mein Vater meiner Mutter angetan hatte, begann ich, ihn dafür zu hassen. Ich habe ihn auch dafür gehasst, dass er nach der Scheidung meinen geliebten Bruder, der auch mein bester Freund war, entführte. Als mein Vater dann gestorben war, hatte ich meinen Bruder endlich wieder zurück!

Was den Tod meines Vaters angeht, fühlte ich eine seltsame Mischung aus Anteilslosigkeit und Freude. Dadurch, dass ich selbst auch kriminell wurde, konnte ich aber später eine Art „Verbindung“ zu ihm aufbauen. Ich wusste, dass ich das Lügen, Stehlen und Manipulieren von meinem Vater “geerbt” hatte – darauf war ich irgendwie stolz.

Stolz war ich auch auf die Verbindung meiner Großeltern väterlicherseits zu den Hells Angels. Ich stand bis zu meinem 18. Lebensjahr unter ihrem Schutz. Wollte ich zum Beispiel, dass sie jemandem das Knie brachen, haben sie das einfach gemacht. Ich habe diese Macht geliebt, die ich durch die Hells Angels hatte.

Du hattest auch erzählt, dass du zuerst Tiere gequält hast. Mit 13 Jahren hast du damit aufgehört und dir dann Menschen als Ziel gesetzt.

Rachel: Ich habe viele schlimme Dinge getan, ohne dabei jegliche Art von Schuld zu empfinden. Schaut man sich mein Verhalten an, erkennt man, dass das klassische Symptome einer dissozialen Persönlichkeitsstörung sind. Eine weitere psychische Krankheit, mit der ich später diagnostiziert worden bin. Zu ihr gehört häufig auch Tierquälerei, die dann irgendwann in Gewalt gegenüber Menschen übergeht.

In der siebten Klasse habe ich mir eine Liste angelegt mit Namen aller Mitschüler, die ich umbringen wollte. Dazu gab es jeweils eine Beschreibung, wie ich das genau machen wollte. Ich bin auf eine sehr gefährliche Schule in den Vereinigten Staaten gegangen und wurde häufig vom Mitschülern bedroht. Auf dieser Schule konnte ich mir sicher sein: Die meinen es ernst mit ihrer Drohung.

Du hast dann tatsächlich versucht, zwei Mitschüler zu töten. Möchtest du davon erzählen?

Rachel: Meine beiden Mordversuche standen nicht auf meiner Liste. Die erste Person, die ich töten wollte, war mein damaliger Freund. Ich hatte keine Lust mehr auf ihn gehabt, wollte aber die Konfrontation verhindern, die mit dem Schluss machen einhergeht. Deshalb habe ich gedacht, dass es besser sei, wenn er einfach nicht mehr da wäre und habe ihn dann versucht zu vergiften. Dafür habe ich einfach alle Medikamente aus meiner Hausapotheke zusammengemischt und in seine Milchschokolade getan. Er ist nicht gestorben, musste deshalb aber ins Krankenhaus. Bis heute weiß er nicht, dass ich das war.

Den zweiten Vorfall kann ich selbst nicht wirklich erklären: Auf einer Geburtstagsfeier saß ich mit meinem damaligen Schwarm in meinem Zimmer auf meinem Bett. Wir haben einfach nur geredet. Alles war vollkommen in Ordnung und er hat nichts Falsches getan; hat mich immer gut behandelt. In diesem Moment hat er mich einfach nur angeschaut und dann ist etwas sehr Seltsames mit mir passiert: Eine eindringliche Stimme in meinem Kopf hat mir “befohlen”, ihn sofort zu töten. Ich nahm also ein Messer und habe ihn damit schreiend durch die Nachbarschaft gejagt. Meine beste Freundin hat mich dann unter Einsatz ihres Lebens zu Boden drücken können. Davon hat sie Narben an ihrem Körper behalten. Etwas später kam dann meine Mutter nach Hause und hat den Irrsinn beendet. Zu meinem Glück hat niemand die Polizei gerufen. In unserer Nachbarschaft hat man solche Dinge selbst geklärt.

Beide Vorfälle sind in der achten Klasse passiert. Der zweite Mordversuch hat mich in der Schule berühmt gemacht und dafür gesorgt, dass ich zweimal in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen worden bin.

Missbrauch: der Kampf danach  – ein Interview
Rachels beide Mordversuche misslingen – Gott sei Dank!

In der 9. Klasse hattest du Kontakt zu einer Klassenkameradin, die Prostituierte bei einem Essort-Service war. Sie wollte auch dir die „Möglichkeit“ geben, dich zu prostituieren. Du warst interessiert. Wieso kam trotzdem nie etwas zustande?

Rachel: Ich war bereits bei einem Escort-Service angemeldet. Und weil ich ja noch minderjährig war, hatte ich dafür meine Ausweise gefälscht. Ich habe auch schon bestimmte Sexpraktiken geübt, die man als Prostituierte braucht – ältere Männer haben beim Sex andere Ansprüche als Jungs in meinem damaligen Alter. Aber jedes Mal, wenn ich einen Termin mit einem Kunden ausgemacht hatte, ist etwas dazwischengekommen: Entweder bin ich oder der Freier krank geworden. Oder es stimmte etwas nicht mit dem Auto, was ich mir dafür extra ausleihen musste.

Irgendwann habe ich es dann einfach aufgegeben. Meiner damaligen Agentur habe ich damals erzählt, dass es bei mir im Moment nicht klappe; ich es aber noch mal versuchen wolle, wenn ich ein eigenes Auto habe. Aber dann wurde ich Christ und meine Pläne haben sich total geändert – na ja, zumindest nach etwa einem Jahr als Gläubige. Bis dahin hatte ich noch alle Dokumente, um als Prostituierte arbeiten zu können. Das war sozusagen mein Plan B, wenn sich das mit dem Christsein als falsch für mich herausgestellt hätte. Hat es dann aber nicht.

Wie bist du zum christlichen Glauben gekommen? Und welche Veränderungen konntest du in deinem Leben dann feststellen?

Rachel: In der 12. Klasse hat mich eine Freundin zu einem Universitäts-Gottesdienst eingeladen. Ich ging da wegen der älteren Jungs hin und bin auch ihretwegen, der wunderschönen Gospelmusik und den kostenlosen Keksen jede Woche wiedergekommen. Nach einigen Monaten habe ich gemerkt, dass ich das, was ich in den Liedern gesungen habe, eigentlich alles glaubte, jedoch nicht lebte. Ich hatte noch keine persönliche Beziehung zu Jesus Christus, wusste aber, dass sich das ändern musste. Also habe ich mich für ein Leben mit Gott entschieden.

Bei meiner Bekehrung hatte ich ein überwältigendes Gefühl von Leichtigkeit. Ansonsten nichts. Eigentlich hätte ich erwartet, dass der Heilige Geist mir ab sofort immer zeigen würde, was richtig und was falsch ist. Aber so war es bei mir nicht. Ich hatte auch weiterhin Sex und habe gestohlen, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben. Und weil das schlechte Gefühl dabei ausgeblieben ist, dachte ich, dass das wohl auch als Christ so in Ordnung sei – das war alles noch bevor meine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt worden ist.

Nach einer Bekehrung hatte ich ein überwältigendes Gefühl von Leichtigkeit. Ansonsten nichts.

Rachel über ihrem Glauben

Durch das Lesen der Bibel habe ich dann aber verstanden, dass Klauen beispielsweise nicht gut ist und habe dann damit aufgehört. Für mich war das sehr herausfordernd, weil die Kriminalität und Sex – auch vor der Kamera – einen so großen Platz in meinem bisherigen Leben hatten.

Nach deiner Heirat mit deinem Mann Dave habt ihr gemeinsam beschlossen, als Missionare nach Europa zu gehen. In der letzten Woche vor der Abreise gab es aber leider wieder einen Vorfall: Du wurdest von einem Arbeitskollegen attackiert und vergewaltigt. Was hat das mit dir, deinem Mann und euren Plänen gemacht?

Rachel: Es klingt jetzt etwas seltsam, aber eigentlich war der Zeitpunkt dieser Vergewaltigung gut. Also der Zeitpunkt, nicht die Vergewaltigung selbst. Ursprünglich wollten wir als Missionare, Menschen in Naturkatastrophengebieten in Europa helfen. Der Sitz unserer Missionsgesellschaft selbst ist in Süddeutschland. Wir hatten bereits unsere Arbeitsstellen gekündigt und auch schon den ersten Lohn von der Missionsgesellschaft bekommen.

Nach der Vergewaltigung hat uns die Missionsgesellschaft ein Jahr geschenkt, in dem wir uns als Familie einfach nur auf Heilung konzentrieren durften. Wir haben die ganze Zeit über Lohn bekommen und waren so finanziell versorgt. In diesem Jahr hat sich alles komplett verändert: Durch unsere Therapien – Dave mit seiner Töpferei und ich mit meinem Tanz und Gesang – hat Gott angefangen uns zu heilen und hat uns gezeigt, dass wir mit unserer Kunst, anderen Menschen unsere Geschichte weitererzählen können. Und das hat vielen geholfen, die Ähnliches erlebt haben.

Ab da wussten wir, dass wir genau das machen möchten: Menschen mit unserer Geschichte helfen. Die Nothilfe in Naturkatastrophengebieten ist sehr wertvoll, aber unsere Vision und Leidenschaft hat sich in diesem Jahr komplett verändert.


Rachel und ihr Ehemann Dave

Bist du nach all dem Missbrauch in deinem Leben heute in der Lage, mit deinem Mann ein normales Sexualleben zu führen?

Rachel: Was ist ein normales Sexleben? (Lacht.) Das definiert doch jeder anders. Die ersten acht Jahre unserer Ehe waren furchtbar, denn da lief fast gar nichts. Ich glaube aber schon, dass wir jetzt ein normales Sexualleben führen. Das bedeutet aber nicht, dass wir keine Probleme haben. Ich bekomme manchmal Flashbacks – das letzte Mal vor zwei Tagen. Und Dave bemerkt das sofort. Auch sind nicht alle meine sexuellen Abhängigkeiten weg, die ich aufgrund meines Missbrauchs entwickelt habe. Ich muss einfach ehrlich und offen zu Dave und meinem Therapeuten sein und weiter an mir arbeiten. Das ist das Wichtigste. Ein „Perfekt“ gibt es bei uns sowieso nicht.

Du sagst, du dienst Gott und deinen Mitmenschen durch Tanz und Gesang – erzähl uns mehr davon!

Rachel: Zusammen mit meinem Mann leite ich den Lobpreis in unserer Gemeinde. Durchs Singen komme ich Gott sehr nah. Das ist für mich immer ein sehr intimer Moment. Egal, wie schlecht es mir geht: Wenn ich singe, bin ich Gott so nah, dass ich das alles vergessen kann.

Wenn ich einen Tanz choreografiere, hat es immer etwas mit dem Kampf nach Freiheit zu tun – Freiheit von schlimmen Erfahrungen oder den Lügen, die wir über uns selbst glauben.

Rachel ist professionelle Tänzerin

Wie hat die Geburt deines ersten Kindes dein Leben verändert?

Rachel: Die Geburt meines ersten Kindes hat alles verändert! Vorher hatte ich immer eine so große Todessehnsucht. Ich wollte unbedingt sterben! Ich habe zum Beispiel für Krebs gebetet, bin absichtlich in gefährlichen Gegenden spazieren gegangen oder bin einfach so auf die Straße gelaufen, in der Hoffnung, dass mich vielleicht ein Auto überfährt. In der Schwangerschaft gab es dann aber einen Moment, in dem ich verstanden habe, dass wenn ich sterbe, auch mein Kind mit mir sterben wird. Diese Erkenntnis hat meine Todessehnsucht völlig verdrängt.

Ich wollte unbedingt sterben! Ich habe zum Beispiel für Krebs gebetet, bin absichtlich in gefährlichen Gegenden spazieren gegangen oder bin einfach so auf die Straße gelaufen, in der Hoffnung, dass mich vielleicht ein Auto überfährt.

Rachel über ihre Einstellung vor ihrem ersten Kind

Ich bete nun schon seit fast 13 Jahren nicht mehr für meinen Tod. Auch wenn ich jetzt schwierige Zeiten durchmache und keine Kraft mehr zum Leben habe, erinnere ich mich daran, dass meine Kinder eine Mutter brauchen.

Auch als Mutter einer jungen Tochter: Welchen Tipp würdest du Mädchen und Frauen geben, die Missbrauch erlebt haben?

Rachel: Es ist wichtig, jemandem davon zu erzählen. Das alleine durchzustehen, ist unfassbar schwer. Wenn du keinen Erwachsenen hast, dem du vertraust, dann wende dich an eine Freundin oder an einen Therapeuten. Es gibt auch Online-Support-Gruppen. Wenn du in eine Gemeinde gehst, dann kannst du dich dort an den Pastor wenden.

Und was ist mit der Polizei?

Rachel: Stimmt, die gibt es auch. (Lacht.) Aufgrund meiner Vergangenheit denke ich nie zuerst an die Polizei. Klar, der Täter muss aufgehalten werden, aber ich kenne fast niemanden, der nach einem Missbrauch zur Polizei gegangen ist. Die Scham ist einfach zu groß. Man muss sich dann ärztlichen Untersuchungen unterziehen lassen und der Polizei alles im Detail erzählen. Das ist dann so, als ob man das alles noch einmal durchmachen muss. Auch der ganze Rechtsprozess ist sehr demütigend und traumatisch für die Opfer. Die Ausnahme ist, wenn der Täter jemand vollkommen Fremdes ist. Dann zeigen die Frauen ihren Vergewaltiger meistens schon an. Aber leider findet der Missbrauch meistens durch jemanden statt, den das Opfer kennt. Einem Bekannten oder gar einem Verwandten.

Rachel, vielen Dank für dieses ergreifende Interview und beste Wünsche für dich und deine Familie!


Rachel (42), gebürtige Amerikanerin, seit 2007 in Deutschland, verheiratet mit Dave (45), Mutter dreier Kinder (13, 10 und 8). Sie tanzt, choreografiert und singt professionell und setzt sich leidenschaftlich für Frauen im Rotlichtmilieu ein.

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Rassismus

Dein Rassismus, mein Rassismus

Gedanken, Erfahrungen und ein Bekenntnis

Du bist weiß und dünn. Schreib lieber über Sexismus und Rassismus!“ So ähnlich lautet ein Kommentar unter meinem Tweet zum Thema Skinny Shaming. Mit einer solchen Reaktion hätte ich nicht gerechnet …

Du bist weiß und dünn. Schreib lieber über Sexismus und Rassismus!“

Ihrem Profilfoto nach schätze ich die Verfasserin als Asiatin ein. Was hat sie wohl erleben müssen, dass sie „so jemanden wie mich“ als Sprachrohr „braucht“? Oder mich zumindest dazu auffordert? Und qualifiziert mich mein Erscheinungsbild etwa automatisch dazu, um über diese beiden Themen zu schreiben? Oder „beruft“ es mich gar?

Über sexuelle Belästigung und Missbrauch habe ich tatsächlich bereits einiges verfasst. Dem Thema Rassismus bin ich bis jetzt jedoch deutlich zurückhaltender gegenüber gewesen. Gerade weil Rassismus so hochaktuell und wichtig ist, hatten sich sämtliche Kanäle dazu bereits ausgiebig geäußert. Mit welcher neuen Information oder Erkenntnis hätte ich um die Ecke kommen können: Mit der Binsenweisheit, dass Rassismus sinnfrei und böse ist? Auch auf persönliche Erfahrung konnte ich nicht zurückgreifen – weder als Opfer noch als Täter. Da war ich mir bis dato ganz sicher …

Rassismus im Baumarkt und in der Kosmetikschule

Vor paar Wochen bekam ich eine Nachricht von einer Bekannten. Wiederum ihre Bekannte, eine russische Frau, wurde in einem Baumarkt beschimpft und ausgelacht. Der Grund dafür war ihr russischer Akzent; der Täter ein Mitarbeiter. Weitere Mitarbeiter standen mit etwas Abstand daneben und haben nicht helfend eingegriffen – ganz im Gegenteil: Sie lachten die Kundin sogar noch mit aus …

Diese demütigende Erfahrung wollte die Frau nun publik machen. Vielleicht mit meiner Hilfe? Also rief ich sie an und es wurde zu einem langen Gespräch: Mit Anfang Zwanzig ist die gebürtige Russin nach Deutschland gekommen und hat eine Ausbildung zur Kosmetikerin angefangen. In der Kosmetikschule wurde sie von Anfang an aufs Schlimmste gemobbt. „Geh wieder dorthin zurück, wo du herkommst!“, hieß es ständig von den anderen Azubis. Selbst Ihre Ausbilderin hat ihr immer wieder versichert, dass „so jemand wie sie“ es niemals schaffen würde, in Deutschland Fuß zu fassen. Die junge Russin konnte sich nicht wehren. Sie hatte damals weder den Mut noch die Sprachkenntnisse dazu. Also hielt sie ihrem Mund und fraß ihren Frust immer weiter in sich hinein. Nur unter emotionalem Stress und unter Tränen konnte sie Ihre Ausbildung abschließen.

Über 20 Jahre später führt sie ein eigenes erfolgreiches Kosmetikstudio. Und auf mich wirkt sie alles andere als auf den Mund gefallen! Doch in diesem Moment im Baumarkt, da kamen ihr die traumatischen Erinnerungen aus ihre Ausbildungszeit wieder hoch: die bösen Worte, das herablassende Gelächter. Sie wurde plötzlich wieder zu der ängstlichen Frau von damals. Zu jemandem, der sich nicht traut, sich zu wehren.

Einige Tage nach dem Vorfall bekam die Kosmetikerin dann einen Anruf vom Filialleiter. Der Mitarbeiter, der sie so angepöbelt hatte, stellte sich als Kunde heraus. Dass die anderen Mitarbeiter nicht eingeschritten sind, sei dem Filialleiter jedoch äußerst unangenehm. Summa summarum: Die gebürtige Russin sieht nun keinen Grund mehr diesen Vorfall öffentlich zu machen. Mich hat ihre Geschichte nun aber definitiv dazu inspiriert, über Rassismus zu schreiben.

Rassismus im Aufzug

Ich bin darüber verwundert, wie viel Rassismus die Kosmetikerin erfahren musste. Als Tochter einer russischen Mutter und eines russlanddeutschen Vaters kann ich mich nur an einen einzigen Vorfall erinnern, bei dem ich einen Hauch von Rassismus erlebt habe. Diese Erinnerung kam mir erst beim Telefonat mit der russischen Frau wieder: Ich war etwa 10 Jahre alt und war gerade damit beschäftigt, einen Zettel an die Aufzugwand zu befestigen. Es ging um das Thema Tierschutz. Eine Nachbarin, eine ältere deutsche Frau, stieg auf einer anderen Etage in den Aufzug dazu. Sie sah den Zettel und riss ihn meckernd wieder herunter. Ich war irritiert und wollte wissen, wieso sie das tat. „Hier gehören keine Zettel hin!“, meinte sie schroff. „Aber meine Mama hat es mir erlaubt!“, erwiderte ich ihr trotzig. „Deine Mutter hat hier gar nichts zu melden!“, zischte sie.

Ich wusste nicht, was dieser letzte Satz zu bedeuten hatte. Wieso sollte denn meine Mutter nichts zu sagen haben in dem Haus, in dem wir wohnen? Aufgeregt erzählte ich davon der Mutter einer Freundin, ebenfalls eine Nachbarin. Sie schaute ganz betroffen und erklärte mir den Grund für das Verhalten der Frau im Aufzug. Mir wurde ganz anders …

Rassismus bis zum letzten Atemzug

Doch das ist natürlich eine winzige Kleinigkeit im Gegensatz zu dem, was George Floyd im Mai 2020 zugestoßen ist. Ich bin immer noch zutiefst betroffen darüber, wie das Leben dieses Mannes enden „musste“. Am meisten schockiert es mich, dass der Grund ein systematischer Rassismus war, der so tief in den USA verankert ist, dass er von den eigentlich „Guten“ ausging. Von der Polizei, deren Aufgabe es ist, Menschenleben zu schützen. Dass er mit einem gefälschten Geldschein bezahlt haben soll, relativiert die Tat für mich in keiner Form. Hätten die Polizisten ihn auch ermordet, wenn er weiß gewesen wäre? Das bezweifle ich sehr. Genauso so sehr bezweifle ich, dass George Floyd tatsächlich versucht hatte, mit einem gefälschten Schein zu bezahlen – zumindest nicht mit Absicht. Das passte einfach nicht zu seiner Persönlichkeit.

Ja, Floyd saß schon mal im Gefängnis, hatte dementsprechend auch eine kriminelle Vergangenheit. Hinter Gittern ist er aber auch zum Christentum konvertiert und hat seither einen ganz anderen Weg eingeschlagen: Er engagierte sich zum Beispiel unter jungen Menschen im „Third Ward“, einem traditionell von Afroamerikanern bewohnten Stadtteil in Houston Texas. Dort war er als „Big Floyd“ gleichermaßen bekannt, beliebt und einflussreich. Das Ziel seiner Arbeit war es, den Kreislauf der Gewalt zwischen den Straßenbanden durchbrechen. Floyd sprach zu den Gangmitgliedern über Glaube, Liebe und Vergebung und riskierte damit etliche Male sein eigenes Leben. Viele junge Männer bezeichneten ihn als ihren Onkel, Bruder oder sogar Vater. Floyd half auch bei der Essensverteilung seiner Gemeinde mit, machte Krankentransporte und unterstützte ein Projekt für Häuserbau im Armenviertel. Klingt das nach jemanden, der mit Falschgeld bezahlen würde? Ich denke nicht.

Doch Floyds gute Taten sind für mich nicht der entscheidende Grund dafür, wieso sein Tod eine solche Tragödie ist. Selbst dann, wenn er immer noch ein Kleinkrimineller gewesen wäre, wäre dieser Fall gleichermaßen fürchterlich gewesen. Niemand muss sich das Leben erst einmal verdienen. Weder durch gute Taten; noch mit einer bestimmten Hautfarbe. Das sahen wohl die Protestteilnehmer in den Vereinigten Staaten und in Europa wohl genauso …

Meine Reaktion auf Rassismus gegen Schwarze

Ich muss gestehen, dass ich bei keiner Black Lives Matter-Demo war. Wieso? Wahrscheinlich, weil das gerade nicht so sehr in meinen Alltag hineinpasste. Ich hätte dafür meine täglichen Verpflichtungen unterbrechen müssen; ein Opfer bringen müssen. Und überhaupt: Was hätte ich da schon als Einzelperson ausrichten können? Gegen den Tod von George Floyd, die Polizeigewalt in den Staaten und den Rassismus auf der ganzen Welt? Hören sich diese Argumente nach Ausreden an? Ja. Sind sie welche? Ebenfalls ja.

Ausgerechnet durch die zahlreichen Beiträge auf Social Media wurde mir bewusst, weshalb ich mir eine solche Einstellung „leisten“ konnte: Einfach, weil ich nicht schwarz bin. Das ist der Grund dafür, warum mein Leben nicht jeden Tag aufs Neue in Gefahr ist. Ich muss auch nicht doppelt und dreifach für meine Möglichkeiten und Rechte kämpfen. Ich habe das, was man White Privilege nennt. Das war mir vorher nicht bewusst. Und doch ist es so offensichtlich: Schwarze müssen deutlich mehr für ihre Rechte und nicht selten auch um ihr eigenes Leben kämpfen. Dabei haben sie sich ihre Hautfarbe nicht ausgesucht. Sie sich auch nicht aussuchen können. Ehrlich gesagt, verstehe ich auch nicht, was an einem dunklen Hautton falsch sein soll?

Als 90er-Jahre Kind bin ich mit „Black Music“ aufgewachsen. In meiner Jugend waren Schwarze für mich automatisch cool: Sie können singen, tanzen, rappen und sind stets immer gut gekleidet – davon war ich überzeugt und ganz angetan. In meinen frühen 20ern habe ich Halbafrikaner gedatet und es gab sogar eine Phase, in der ich selbst lieber schwarz sein wollte. Aufgrund meiner durchwegs positiven Einstellung gegenüber Schwarzen habe ich den bestehenden Rassismus völlig unterschätzt. Es kam mir einfach nicht in den Sinn, dass andere Menschen ernsthaft großartig anders denken könnten als ich. Trotz der häufigen Meldungen über Rassismus in den Medien! Was für ein naives Denken!

Black Lives Matter – und die anderen?

Ein anderer Grund warum ich das Ausmaß des Rassismus gegen Schwarze unterschätzt habe ist, weil dieser in Deutschland deutlich schwächer ausgeprägt ist als in den Vereinigten Staaten. Ich behaupte nicht, dass es ihn hier nicht geben würde, aber: Die rassistisch-motivierte Polizeigewalt in den USA ist ein alltägliches Problem. In Deutschland eher nicht. Allerdings ist es auch hier wahrscheinlicher, dass dich die Polizei anhält oder verdächtigt, wenn du nicht gerade „deutsch“ aussiehst. Was in den USA die Afroamerikaner sind, sind in Deutschland beispielsweise die Türken, die Araber, die Albaner, die Syrer, die Sinti und Roma. Vielleicht auch die Russen und Polen – unabhängig von ihrer Hautfarbe.

Hier komme ich ins Spiel: Wie behandele ich „Ausländer“? Schenke ich ihnen das gleiche Vertrauen wie Einheimischen? Ich muss gestehen, dass ich abends wegen einem Mann mit dunklem Hautton eher die Straßenseite wechseln würde als bei einem Hellhäutigen. Größere Anschaffungen mache ich auch lieber bei „echten“ Deutschen als bei einem südländischen oder orientalischen Verkäufer. Ist es bereits Rassismus, wenn ich glaube, dass Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit eines Menschen nicht nur von seiner individuellen Persönlichkeit abhängt, sondern auch kulturell bedingt sein kann?

Auf Missstände in anderen Ländern hinzuweisen, die eindeutig gegen grundlegende Menschenrechte verstoßen, sollte mehr als nur erlaubt sein! Die Kinderheirat in einigen islamischen Ländern ist eben einfach nur abscheulich und ich muss auch nicht die Mädchenbeschneidung in Senegal oder Somalia gutheißen.

Kulturelle Unterschiede existieren. Das ist Fakt. Sich dessen bewusst zu sein, ist meiner Meinung nach deshalb auch keine Fremdenfeindlichkeit. Oder vielleicht doch? Doch wie sieht es eigentlich mit ethnisch-spezifischen Komplimenten aus?

Rassismus ist kein Kompliment

Paradoxerweise können auch wohlgemeinte Komplimente rassistisch sein, wenn sie sich einem Vorurteil bedienen: „Alle Chinesen sind schlau und alle Schwarzen können gut tanzen.“ Laut dieser „Komplimente“ ist es nichts Besonderes mehr, als Chinese intelligent zu sein oder als Schwarzer ein gutes Rhythmusgefühl zu haben. Solche Pauschalaussagen entwerten die Talente einzelner Angehöriger einer bestimmten ethnischen Gruppe und die Arbeit, die hinter ihrem Können steckt.

Außerdem: Was ist eigentlich mit Schwarzen, die nicht tanzen können? Sind sie dann überhaupt noch wirklich schwarz? Und wie sieht es mit Asiaten mit einem durchschnittlichen IQ aus? Ich kann mir gut vorstellen, dass sich manche durch solche klischeehaften Aussagen in ihrer Zugehörigkeit “bedroht” fühlen.

Aber wer kann sich dann noch von Rassismus freisprechen, wenn dessen Definition sogar manche wohlgemeinte Komplimente mit einschließt?

Keine Synonyme: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

Im Laufe meines Lebens habe ich eine Abneigung gegen Russen entwickelt. Schon als Kind schämte ich mich für meine russische Herkunft. Besonders peinlich fand ich die Sprache. Also habe ich bewusst aufgehört, Russisch zu sprechen. Wenn mit mir jemand Russisch sprach, habe ich auf Deutsch geantwortet. Ich wehrte mich auch immens dagegen, die kyrillische Schrift zu lernen. Während meiner Studienzeit hatte sich dann bereits folgendes Bild über Russen in meinen Kopf gesetzt: Russen sind primitive, fluchende Assis, die ihre Abende in der Hocke auf dem Parkplatz verbringen. Um sie herum sind überall Schalen von Sonnenblumenkernen verstreut. Anstatt sie wegzuräumen, spucken sie immer mehr davon auf den Boden. Sie besaufen sich bis zum Erbrechen mit Wodka und pöbeln Vorbeigehende an. Und später gehen sie in die Russen-Disco, um weiterzusaufen und sich gegenseitig die Köpfe blutig zu schlagen.

Wow! Ich muss mehrmals schlucken, während ich diesen Abschnitt schreibe. So viel zu meiner Aussage, dass ich keine Erfahrung mit Rassismus habe! Selbst wenn ich selbst Halbrussin bin, nicht zur Gewalt neige und es nicht meine Art ist, Leute zu beschimpfen: Diese Gedanken sind purer Rassismus! Und damit so unfassbar falsch!

Das Schreiben dieses Beitrags hat mir dafür die Augen geöffnet, dass Rassismus nicht immer gleich Fremdenfeindlichkeit sein muss. Manchmal ist es auch Rassismus gegen das eigene Volk. So wie bei mir.

Kulturschock und Rassismus

Jetzt im Nachhinein denke ich, dass meine Einstellung zum Teil eine Schutz- oder Trotzreaktion gegenüber einer nahen Verwandten gewesen ist: Als sie vor 27 Jahren nach Deutschland kam, musste sie geliebte Familienmitglieder, Freunde und Job in ihrer Heimat zurücklassen. Das Deutschlernen fiel ihr äußerst schwer, aber am schwierigsten war für sie die kulturelle Umstellung gewesen. So entwickelte sie einen Hass gegen Deutsche, den sie ungefragt ständig und lauthals kommentierte. Ich dagegen fühlte mich von Anfang an zu Hause in Deutschland und konnte sie kein bisschen verstehen. Ihre Feindseligkeit macht(e) mich einfach nur wütend!

Erst im jungen Erwachsenenalter habe ich verstanden, dass meine Verwandte einen Kulturschock hatte – einem schockartigen Gefühlszustand, in den Menschen verfallen können, wenn sie auf eine fremde Kultur treffen. Die besagte Person hat bewusst an den eigenkulturellen, russischen Werten und Denkmuster festgehalten und die neue, deutsche Kultur abgelehnt. Segregation ist der Fachausdruck dafür. Plötzlich konnte ich sie ein Stückchen weit verstehen. Trotzdem waren ihre ständigen Nörgeleien und verallgemeinernden Beleidigungen sehr belastend für mich. Ich wollte auf keinen Fall so werden wie sie und bin es dann doch! Nur waren für mich die Russen eben die „Bösen“.

Übrigens ist meine Reaktion auf das Auswandern nach Deutschland im Grunde gar nicht mal so unüblich. Zumindest mal in seinen Grundzügen: Meine Art mit der neuen deutschen Kultur umzugehen wird als Assimilation bezeichnet. Bei dieser Anpassungsstrategie wird die Eigenkultur aufgegeben oder sogar abgelehnt. Ich habe sie abgelehnt.

Sowohl meine Verwandte als auch ich haben mit unseren jeweiligen Reaktionen auf unser neues Umfeld offensichtlich übertrieben …

Das Ende meines Rassismus?

Erst in den letzten Jahren habe ich immer mehr begriffen, dass ich kein Recht darauf hatte und habe, so über Russen zu denken. Die paar negative Beispiele, die ich erlebt habe, legitimieren meine rassistische Denkweise nicht.

Ich bin dankbar dafür, dass mir das Thema Rassismus „ans Herz gelegt“ worden ist. Denn ohne das hätte es keine Selbstreflexion für mich gegeben – zumindest noch nicht. Mir wäre nicht bewusst geworden, dass es auch in meinem Leben Platz für Rassismus gab und vielleicht auch noch zum Teil gibt. Denn: Rassismus beginnt nicht erst mit Gewalt, Ausgrenzung oder bösen Worte. Rassismus beginnt in unseren Gedanken. Ich weiß, woran ich jetzt arbeiten kann – an meinem Mindset! Und damit fange ich jetzt an. Wo liegt deine Baustelle?

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Sexuelle Gewalt und Belästigung

Die Bushaltestelle

Auch hier geschieht es

Nach der Schule begleitete mich meine Klassenfreundin Lara zur Bushaltestelle. Dass wir gleich sexuelle Belästigung erleben würden, das ahnten wir nicht. Wir besuchten gerade die sechste Klasse. Vielleicht auch die Siebte. Ich erinnere mich nicht genau. Wir waren brave, schüchterne Mädchen. Richtige Spätzünder. Allein schon der Gedanke daran, mit einem Jungen sprechen zu müssen, machte mir damals Angst.

Die Bushaltestelle hatte mehrere Anfahrtsspuren und pro Anfahrtsspur noch mal drei Haltepunkte. Außer uns beiden war sonst gerade niemand da. Verwunderlich. Er war ein heißer Sommertag. Ein zarter, angenehm-kühler Wind streichelte unsere Haut. Wir hatten Gänsehaut und gute Laune. Die brauchten wir auch, denn wir hatten noch einiges an Wartezeit vor uns

Sexuelle Belästigung an Bushaltestelle
Sexuelle Belästigung an Bushaltestelle
Er kratze sich und starrte uns dabei lüstern an

Wenige Minuten später setzte sich ein älterer Mann auf eine Bank, die einige Meter rechts von uns stand. Ich schätzte ihn damals auf 65 Jahre. Er schaute uns an. Aus diesem Anschauen wurde bald ein unangenehmes Starren. Dann fing er an, sich langsam an seinem Oberschenkel zu kratzen. Dieses Kratzen wurde immer heftiger und sein Anstarren immer intensiver. Das Kratzen ging über in eine ruckartige Auf- und Abbewegung seiner Hand …

Obwohl ich das Ganze in meiner Unschuld zuerst nicht richtig einordnen konnte und irritiert war, fühlte ich vor allem drei Dinge: Scham, Ekel und Ohnmacht. Ich wusste, das hier irgendwas gewaltig falsch lief. Als ich dann endlich durchgeblickt haben, was es war, kam in mir eine große Wut auf. Dass nicht nur ich wütend war, merkte ich daran, dass Lara den Mann plötzlich anschrie, dass er sofort aufhören soll. Ich schrie mit. Doch er hörte nicht auf. Unsere Reaktion schien ihn noch mehr Lust zu bereiten. Als wir ihm schließlich mit der Polizei drohten, stand er schreckhaft auf und humpelte davon …

Das Danach

Die Polizei gerufen haben wir damals nicht. Wir waren einfach nur froh, dass er weg war. Dass der Mann wahrscheinlich öfters vor Frauen, Jugendlichen oder Kindern masturbierte oder vielleicht noch Schlimmeres, daran haben wir damals nicht gedacht. Wir wussten auch nicht, dass der Vorfall eine Tat darstellte, wegen der man die Polizei hätte rufen können. Und selbst wenn wir das alles gewusst und bedacht hätten, hätten wir es wahrscheinlich trotzdem nicht getan. Es wäre uns einfach zu peinlich gewesen, darüber zu sprechen.

Gleichzeitig fanden wir, dass das, was da geschehen war, zwar sehr unangenehm aber doch irgendwie harmlos war. Schließlich ist uns ja nichts Weiteres passiert. Lara und ich sprachen nie wieder darüber miteinander. Damals war ich ein Teenager. Heute bin ich eine erwachsene Frau und diese Erfahrung hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt.

Ich erzählte es 300 Leuten

Zum ersten Mal habe ich von dieser einprägsamen Erfahrung wieder auf der Bühne bei einem Theaterprojekt erzählt – vor mehr als 300 Zuschauern. Das Stück bestand aus mehreren (auto)biografischen Geschichten zum Thema Frausein. Die Erzählerinnen vor mir bekamen nach ihren Auftritten tosenden Applaus. Mein Auftritt hinterließ jedoch eine unangenehme Stille. Ich war verwundert und enttäuscht. Ist mir mein Auftritt etwa nicht gelungen? Konnte man mich nicht richtig verstehen oder war nicht ganz klar gewesen, wann das Ende meines Auftritts war? 

Nach der Aufführung kamen jedoch Frauen zu mir, die tief berührt waren von meiner Geschichte. Frauen mit Tränen im Gesicht. Frauen, die ähnliches oder auch viel Schlimmeres erlebt haben. Sie bedankten sich bei mir. Die Regisseurin erzählten mir später, dass ihre männlichen Freunde, die im Publikum saßen, es als höchst unangenehm empfanden, sich meine Geschichten anzuhören. Ich hatte von mehreren Erlebnissen erzählt und die Freunde der Regisseurin schämten sich für das Verhalten ihrer Geschlechtsgenossen. Ich merkte, dass das, was ich erlebt habe, vielleicht doch gar nicht so eine harmlose war.

Sexuelle Belästigung: ein Teil der Gesellschaft

Als Kind, Jugendliche oder Erwachsene – ständig sind mir solche „Kleinigkeiten“ passiert, die eigentlich keine Kleinigkeiten waren: Von anzüglichen oder abwertenden Sprüchen gegenüber meinen Körper,  über “Liebesnachrichten” in den sozialen Medien bis zum öffentlichen Begrapscht-Werden als Kellnerin in einer Bar. 

Das Erschreckende daran ist, dass meine Erfahrungswelt keine Ausnahme, sondern die Regel ist. Die meisten Betroffenen erleben weitaus Schlimmeres als ich. In Deutschland wird laut Schätzungen durchschnittlich jedes 4. Mädchen und jeder 8. Junge sexuell missbraucht. Die sexuellen Übergriffe auf Erwachsene werden hier nicht mitgezählt. Jeder Missbrauch hinterlässt lebenslange Spuren – meistens eine posttraumatische Belastungsstörung. Ich habe mal ein YouTube-Video gesehen, in dem eine ältere Dame gefragt wurde, was für sie das Schlimmste im Zweiten Weltkrieg war. Sie erzählte von ihrer Vergewaltigung durch einen Soldaten, der ihr währenddessen eine Pistole an die Schläfe hielt. Den tiefen, seelischen Schmerz der Frau konnte ich durch den Bildschirm spüren. Von den Schicksalen aus dem Menschenhandel, der Zwangsprostitution und Kinderpornografie möchte ich an dieser Stelle erst gar nicht anfangen …

Gerade weil es so viele so schreckliche Fälle von sexueller Gewalt gibt und sexuelle Belästigung alltäglich vorkommt, nehmen wir das Zweite fast als normal hin. Doch es sollte – nein dürfte nicht! –  einfach als Teil der Gesellschaft akzeptiert werden.

Was kann man tun?

Ich suche immer noch nach einer Lösung für dieses Problem. Fehlt es da etwa an Aufklärung? Natürlich war die MeToo-Bewegung, die im Oktober 2017 durch den Weinstein-Skandal ausgelöst worden ist, ein guter Schritt in die richtige Richtung. Doch zum erhofften Ziel hat es uns nicht geführt, denn sonst wäre ja nicht ein Fernsehbeitrag wie Männerwelten notwendig gewesen.

Eine strikte Gesetzgebung wäre sicherlich nicht daneben. Doch diese hat meistens keinen allzu großen präventiven Wert auf sexuelle Belästigung und Gewalt. Ein wichtiger Faktor ist sicherlich auch eine Erziehung, die aufzeigt, dass man die Grenzen anderer zu akzeptieren, zu respektieren und zu wahren hat. Und auch, dass man seine eigenen Grenzen vor anderen deutlich definieren und schützen darf.

Letztendlich muss jeder für sich selbst entscheiden, einfach mal niemanden zu belästigen. Doch wie kriegen wir diese Einstellung in die Köpfe und Herzen aller?

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Selbstexperiment

Ein Jahr lang Konsumverhalten zügeln

Ein Selbstversuch

Ein Jahr lang keine Klamotten kaufen

Ich gebe es zu: Ich habe mich durch einen anderen Blog-Beitrag zu diesem Experiment hinreißen lassen. Als ehemals Kaufsüchtige dachte ich mir: ein Jahr lang keine Klamotten und keinen neuen Schmuck kaufen? Da mach ich auf jeden Fall mit! Was ich in diesem Jahr erlebt habe, habe ich am Ende jedes Monats in wenigen Worten zusammengefasst …

Januar

Gleich in der ersten Woche treffe ich mich mit Freundinnen in der Kölner Innenstadt. Schöne Kleider anzusehen, ohne etwas zu kaufen, das fällt mir leicht – noch zumindest! Aber: Ich habe es ernsthaft geschafft alle (!) meine Haargummis zu verlegen. Jetzt kann ich mir ein Jahr lang keinen Zopf mehr binden: Weder auf der Arbeit, noch beim Training und auch nicht nach dem Duschen! Frauen mit langen Haaren verstehen mein Problem …

Februar

Eine Freundin schenkt mir aus Mitleid einen Haufen Haargummis. Gott sei Dank! Die müssten bis zu Ende des Jahres ausreichen. An einem Shopping-Entzug leide ich immer noch nicht.

März

In einer Kölner Kirchengemeinde findet ein Kleidertausch statt. Man mistet aus und kleidet sich gleichzeitig kostenlos neu mit den Klamotten anderer ein. Dabei steht der Aspekt der Nachhaltigkeit im Vordergrund. Verstößt die Teilnahme gegen die Regeln meines Experiments? Ich denke nicht. Übrigens: Die Frau eines Freundes schenkt mir einen schwarzen Übergangsmantel. Sie weiß nichts von meinem Selbstversuch.

April

Bin einfach zu busy, um in Versuchung zu kommen.

Mai

Bad News: Meine einzige Sporttasche ist gerissen. Ich versuche sie weiterhin zu nutzen, indem ich sie beim Tragen fest mit meinen Armen umklammere. Lächerlich – ich weiß. Besonders im Gedränge am Kölner Hauptbahnhof muss ich schwer aufpassen, dass nichts rausfällt und ich nicht beklaut werde. Good News: Meine Mutter schenkt mir am Muttertag(!) eine Tüte voll mit Secondhand-Klamotten. Ich genieße es, die neue alte Kleidung in meinen sowieso schon überfüllten Kleiderschrank hineinzustopfen.

Juni

Nach einer Hitzewelle fallen die Temperaturen plötzlich ab und ich laufe mit einer dicken Erkältung und drei Paar dicken Socken in der Wohnung herum. Meine Füße sind trotzdem eiskalt und ich finde meine Hausschuhe nicht. Wie viele Socken werde ich mir denn bitteschön im Winter übereinander anziehen müssen, um nicht zu erfrieren?

Juli

Ich bin für acht Tage dienstlich auf einem Campingplatz an der Nordsee. Einige Dinge verschwinden aus dem Wohnwagen, u.a. meine Socken. Ich habe nur noch dreckige Paare und ohne Socken wird es in den kühlen Nächten dann doch schon unangenehm. Obwohl die Versuchung groß ist, kaufe ich mir keinen Ersatz. Ich friere mutig weiter. Übrigens: Zu Hause sind meine Hausschuhe wieder aufgetaucht.

August

Ich leite eine 14-tägige Camp-Freizeit auf Korsika. Meine Flipflops gehen beim ersten Anziehen kaputt. Drei weitere Paar Schuhe sind nach der Freizeit nicht mehr zu gebrauchen. Ich habe zwar immer noch über 40 Paare, merke aber, dass die, die ich besonders mag, nach und nach weniger werden. Wieder zu Hause wird trotzdem ausgemistet: Unser Umzug steht an und ich muss dringend paar Klamotten loswerden. Sechs volle Säcke kommen zusammen und ich habe immer noch einen überquellenden Kleiderschrank. Viele Teile behalte ich, weil ich sie zumindest ein Mal tragen möchte, bevor ich sie weggebe.

September

Mein Mann und ich bekommen am Abend vor dem Umzug Bescheid, dass wir jetzt doch nicht in unsere neue Wohnung einziehen können – zumindest nicht vor November. Riesen Enttäuschung, Tränen, Panik … Durch ein großes Wunder und die Hilfe großartiger Freunde dürfen wir am darauffolgenden Tag in ein Haus im Westerwald ziehen. Da gibt es viel zu schleppen. Neben Möbeln und Bücher auch viele Klamotten. Besitz verpflichtet eben!

Oktober

Mein Vater heiratet und ich suche in den Umzugungskartons nach passender Kleidung. (Wir leben nämlich aus den „Koffern“ heraus, weil wir nur einen Monat in unserer Notunterkunft bleiben). Ich brauche über vier Stunden, um das ganze Outfit zusammenzustellen. Die Versuchung etwas Neues zu kaufen ist groß, aber Gott sei Dank kann man im Westerwald sowieso nicht wirklich shoppen gehen. Ähnlich schwierig gestaltet es sich, das Outfit für ein Jobinterview herauszufischen. Da wir doch noch am Ende des Monats die anvisierte Wohnung bekommen, heißt es nun wieder packen, packen, packen. Auch die nun überall im Haus auf dem Boden verstreuten Klamotten …

November

Immer noch ist circa 30 Prozent meiner Kleidung im Schrank ungetragen. Und daran wird sich bis Ende des Jahres auch nicht mehr viel ändern. Ich denke über „früher“ nach: Mit Anfang 20 habe ich ständig neue Klamotten gekauft. Ich wollte nicht zweimal im selben Outfit gesehen werden. Ich dachte nicht daran, dass man Geld vielleicht sparen oder für etwas Sinnvolleres ausgeben könnte. Fun fact: Beim Umzug geht eine Wandseite eines Kleiderschranks verloren. Wir können ihn nicht aufbauen. Nun hat die Kleidungsmenge aus fünf riesigen Müllsäcken leider keinen festen Platz. Oh boy, …

Dezember

Nach einem aufwendigen Bewerbungsprozess für einen Job bin ich erst mal auf der Warteliste gelandet. Enttäuscht gehe ich eine Einkaufsstraße entlang. Am liebsten würde ich sofort los shoppen. Ich weiß, dass das nicht der richtige Weg ist, mit Frust umzugehen. Ich wende mich im Gebet an Gott … Übrigens: Zu Weihnachten kriege ich hochwertigen Schmuck und haufenweise Kleidung geschenkt.

Mein Fazit

Ich habe durchgehalten! Ein ganzes Jahr lang habe ich mir weder Kleidung noch Schmuck gekauft. Und es ist mir nicht einmal besonders schwergefallen. Von meiner Kaufsucht von vor zehn Jahren merke ich überhaupt nichts mehr. Ich habe noch nicht einmal jetzt, wo alles vorbei ist, großartig Lust, einkaufen zu gehen. Aufgefallen ist mir währenddessen, dass kleine Dinge plötzlich unfassbar wichtig werden, wenn sie mal fehlen. Außerdem habe ich gelernt, dass bei mir Frust der Hauptauslöser für Konsumverhalten ist. In der restlichen Zeit komme ich sehr gut ohne Kaufen aus. Ich bin nun umso mehr davon überzeugt, dass ich mehr als nur genug habe und bin sehr dankbar dafür. Das, was ich habe, möchte ich noch mehr mit anderen teilen. Ach ja: Geld habe ich natürlich auch gespart.

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Body image

Iss doch mal was!

Skinny Shaming

Ein Plädoyer gegen das Skinny Shaming

Auf einer Sommer-Veranstaltung meines Arbeitgebers werden Snacks verteilt. Man kann sich zwischen einem Donut und einer gesünderen Variante entscheiden. Ich nehme Option Nr. 2. Ein rundlicher Ehrenamtlicher Anfang 50 kommentiert meine Wahl ungefragt: „Ein Donut täte dir auch mal ganz gut!“ Er grinst stolz und zufrieden über sein ganzes Gesicht. Ich sehe den Mann zum ersten Mal. Und er tut etwas, von dessen Existenz er wahrscheinlich noch nicht einmal weiß: Skinny Shaming.

Genervt denke ich: „Ja, ganz bestimmt täte mir diese Zuckerbombe ausgezeichnet. Ich freue mich schon riesig auf die gesundheitlichen Auswirkungen vom übermäßigen Zuckerkonsum: Pickel, Karies, tiefe Falten, Cellulitis, ein schwaches Immunsystem, Aggressionen, Diabetes Typ 2 … Einfach traumhaft!“ Ironie aus. Diese gesundheitlichen Aspekte hat mein „Kollege“ bei seinem „Ratschlag“ wohl nicht beachtet. (An dieser Stelle möchte ich es mit meinen Ausführungen nicht völlig übertreiben und damit anderen die Freude am Süßen nehmen …)

Worauf er hinaus wollte, war natürlich mein Körpergewicht. Ich bin zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt und wiege bei einer Körpergröße von 1,61 m ca. 48 kg. In den 13 Jahren davor variierte mein Gewicht nur leicht zwischen 47 und 52 kg. Eine Standpauke kann ich dem Typen aufgrund seiner wichtigen Funktion leider nicht halten! Ich weiß auch, dass er es eigentlich nicht böse meint. Aber was genau stört mich so an seinem Kommentar?

Es ist seine Übergriffigkeit gepaart mit Unwissenheit und Ignoranz. Jemand Fremdes etwas Ungesundes zu empfehlen, weil er/sie sehr schlank ist, macht einfach keinen Sinn! Doch das ist es noch nicht ganz: Mit seiner Aussage nimmt er sich das Recht, ungefragt über meinen Körper zu urteilen. Und sein Urteil kommt übersetzt so bei mir an: „Du bist einfach zu dünn! So wie du bist, genügst du nicht! “

Weder das erste noch das letzte Mal

Das war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass sich jemand das Recht herausgenommen hat, meinen Körper zu kommentieren und ihn dabei als zu dünn zu bewerten.

Fast jeder zierliche Mensch hat diese eine füllige Tante, die einen auf jedem Familienfest ständig darauf hinweist, wie dünn man ist; danach fragt, ob man überhaupt irgendetwas isst und einem mit Essen mästen will. Auch diese Tante meint es eigentlich gut. Was bei mir ankommt, ist aber wieder ein ungefragtes Urteil über meinen Körper: „Du bist zu dünn, um gesund zu sein! Du bist zu dünn, um schön zu sein!“

Bodyshaming: Fat- und Skinny shamInG

Stellen wir uns das Ganze mal andersherum vor: Ich hätte dem rundlichen Mitarbeiter empfohlen, auf den Donut zu verzichten. Oder ich würde bei jedem Familientreffen ständig das Übergewicht meiner Tante kommentieren und ihr dringend eine Diät empfehlen. Schließlich mache ich mir ja nur Sorgen um ihre Gesundheit und um ihr äußeres Erscheinungsbild. Wären die beiden dankbar für meinen Tipp und würden sie sich wertgeschätzt fühlen? Sicherlich nicht! Das wäre ein absolutes No-Go und käme Fatshaming sehr nah.

Zum Fatshaming gibt es in den (sozialen) Medien in den letzten Jahren eine Gegenbewegung –endlich! Frauen mit Kurven und in Plussize präsentieren sich stolz auf Instagram und werden dafür gelobt. Das ist auch gut so. Weibliche Runden sind schön und jede Frau sollte sich in ihrem Körper wohlfühlen dürfen. Doch an vielen Stellen geschieht diese Gegenbewegung zum Fatshaming auf Kosten von dünnen Menschen. Vielen scheint es einfach nicht klar zu sein, dass urteilende oder gar abwertende Kommentare gegenüber sehr schlanken Menschen genau wie das Fatshaming eine Art von Bodyshaming sind. Sie greifen an, sie verletzen.

Skinny Shaming hat sich tief in die Gesellschaft und die (sozialen) Medien eingebürgert. Dünne Menschen bekommen ständig Sprüche gedrückt: „Iss doch mal was! Du bist nur noch ein Strich in der Landschaft!“ Oder auch: „Du siehst aus wie ein Skelett“. Besonders schlimm finde ich diesen beliebten Spruch hier: „Richtige Männer stehen auf Kurven, nur Hunde spielen mit Knochen!” Also mein Mann kommt mir doch schon wie ein richtiger Mann vor und ich scheine ihm so zu gefallen, wie ich bin. Von Männern mal abgesehen: Sollte Frau ihren Körper nur dann schön finden dürfen, wenn es auch andere tun?

Ich will so bleiben wie ich will!

Ich habe es satt, mich ständig dafür rechtfertigen zu müssen, dass ich es nicht nur mag, sehr schlank zu sein, sondern es auch noch bevorzuge, so schlank zu bleiben!

Der wichtigste Grund dafür ist, dass mein geringes Gewicht kein gesundheitliches Problem darstellt – im Gegenteil. Seit Jahren trinke ich keinen Alkohol, rauche nicht, schlafe ausreichend und versuche Stress zu vermeiden. Eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung ist mir wichtig, gelingt jedoch nicht immer. Ich treibe täglich Sport: Tanzen oder Fitness. Zwischen zehn Minuten und drei Stunden am Tag. Mein Fokus liegt dabei auf meiner Fitness. Also auf Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination. Beim Tanzen natürlich auch auf der Kunst. Abnehmen war dagegen nie mein Ziel. Meine Figur ist also das Ergebnis eines schnellen Stoffwechsels und eines gesunden Lebensstils. Fazit: Mein leichtes Körpergewicht ist gesund für mich, für meinen Knochenbau.

Der zweite Grund fürs Schlank bleiben ist eben der, dass ich meine Schlankheit nicht als Makel ansehe, sondern sie sogar als sehr ästhetisch empfinde. Ist es denn verwerflich, den Körper, den man geschenkt bekommen hat, zu lieben und ihn nach bestem Wissen und Gewissen zu pflegen? Ich denke nicht. Das gilt sowohl für natürlich Kurvige als auch für natürlich schlank gebaute Menschen.

„Echte Frauen“ können dick oder dünn sein. Sie können so aussehen, wie sie eben aussehen (wollen). Wir haben nicht alle dieselben Vorstellungen darüber, wie unser Körper auszusehen hat und das ist auch gut so! Ich appelliere an Bodypositivity auf beiden Seiten! Der Fokus sollte stets auf der Gesundheit liegen.

Übrigens: Kein fettleibiger oder magersüchtiger Mensch wurde jemals aufgrund von Bodyshaming plötzlich gesund! Daher: Bitte einfach sein lassen!

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Gedanken

Gedanken

Feuer als Symbol für Bürgerkrieg, Folter, Mord und Missbrauch

1. Weltkrieg, 2. Weltkrieg, Bürgerkrieg und Völkermord;

Folter, Mord, Missbrauch und Misshandlung;

Rassismus, Unterdrückung, Verfolgung und Diskriminierung;

Mobbing, Lästerei, Lüge und Verleumdung

haben einen Ursprung: Herzen und Gedanken.

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Gedicht

Deine Wege, meine Wege

Büste von König David: Ich ging auf deinen Wegen
Büste von König David (um 1.000 vor Christus)

Ich ging auf deinen Wegen,

du gabst mir dafür deinen unvergleichbaren Segen.

Meine Treue zu dir und deine Treue zu mir machten mich unzerstörbar.

Die Angstschreie meiner Gegner sind jetzt von überall hörbar.

Du bist mein Licht;

ohne dich leben, das will ich nicht.

Das kann ich aber auch nicht,

denn nur du bist mein sicherer Schutz.

Du befreist mich von allem Schmutz

und haust beim Zerstören meiner Feinde so richtig auf den Putz.

Du bist der König der Könige.

Ich bin der zu-dir-Gehörige.

Mit dir kann ich über Mauern springen

und dabei fröhlich singen;

denn alles, was du tust, ist vollkommen.

Ich bin mit deiner Hilfe unbeschadet überall angekommen

und fühle mich jederzeit in deinen starken Armen willkommen.

Erfolg ist das, was du mir gibst,

weil du ein reines, aufrichtiges Herz liebst.

Von Generation zu Generation,

sorgst du dafür, dass meine Söhne werden sitzen auf dem Thron.

Aus der Sicht von König David: Gedicht zu Psalm 18,21-51

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Glosse Satire

Apache 207: Indianer und Feminist

Seit 2019 ist er nicht mehr wegzudenken aus den deutschen Charts und den Kopfhörern 12-jähriger Hipster-Gymnasiasten: der Musikkünstler und Gucci-Sandalen-mit-Socken-Träger Apache 207. Doch wer genau ist dieser Häuptling? Und was macht ihn und seine Musik so unwiderstehlich?

Der Onkel von Apache 207
Der Onkel von Apache 207
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Apache, der alte Indianer

Da wäre etwa sein Künstlername. Den hat Apache passend zu seinen türkischen Wurzeln gewählt. Wer kennt sie nicht, die Indianer aus dem osmanischen Reich, die damals von den Russen vertrieben wurden, als Columbus im Zweiten Weltkrieg Grönland entdeckt hatte? Von einer kulturellen Aneignung – bei der man so tut, als ob man einer anderen Ethnie angehöre – kann man bei ihm also nicht sprechen! Apache bleibt gleich. Punkt.

Die Ziffer 2 markiert den Platz in den deutschen Charts, den alle seine Songs MINDESTENS erreichen. Die 0 steht für die Anzahl der schiefen Töne bei seinen Live-Auftritten und die 7 für die Anzahl der technisch-sauberen Liegestütze, die er pro Sekunde schafft. Ich sage nur: „Markier den Harten, Bro. Wenn man der Sache auf den Grund geht, merkt man, das ist in der Tat […] so!“ Das gefällt natürlich auch den Damen.

Apache, der alte Feminist

Apropos Damenwelt: Über die hat er so einiges zu sagen. In seinem ersten Song bezeichnete er eine Frau als das, was jedes weibliche Geschöpf sein möchte: eine „kleine Hure“. „Ein guter Anfang“, findet Alice Schwarzer. Sie hätte sich allerdings mehr Diversität gewünscht. Denn es gibt ja schließlich nicht nur kleine, sondern auch große Huren. Diese nicht zu erwähnen, sei diskriminierend gegenüber Frauen mit einer Körpergröße ab 1,76 m.

In seinem Megahit „Roller“ spricht Apache von „Partyhoes“ und einer „Bitch like Barbie“ und ergänzt damit fleißig die Synonym-Liste für „Frau“. Auch damit ist Frau Schwarzer mal wieder nicht ganz zufrieden: Ihr fehlen einfach die typischen „Supersize-Bitches“, „Kantinennutten“ und „Bibliotheksschlampen“. (Nicht zu verwechseln mit den Bibilothekslampen!).

Ich finde: Das ist Meckern auf GANZ HOHEM NIVEAU, Frau Schwarzer! Der Indianer bringt endlich wieder mehr Wertschätzung gegenüber Frauen in den deutschen Hip-Hop rein. Und das macht ihn einfach unwiderstehlich. – Genauso so aber auch seine glänzende Haarmähne. Ein Merkmal, das Frauen an ihm und an sich selbst gleichermaßen schätzen …

Eine Glosse über den überaus talentierten Musikkünstler Apache 207 und seine teilweise Frauen-entwertenden Texte