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Theaterstück

Opas Schreibmaschinen

Ein Minidrama

Personen

Leonie, Schwester von Sandra, beste Freundin von Mira

Sandra, Schwester von Leonie

Mira, beste Freundin von Leonie

Zwei Zimmer zweier junger Frauen

Szene 1: Der erste Brief – Opas Schreibmaschinen

Beteiligte: Leonie, Mira

Requisiten: Tisch, Stuhl, Schreibmaschinenkoffer mit Schreibmaschine 1 darin, Handtasche für Mira, Granatapfel, unbeschriebene Blätter für Schreibmaschine, beschrifteter Briefumschlag, Mülleimer, Schokoriegel

Location Bühne 1: vom Zuschauerraum aus gesehen hinten, Tisch 45° nach links gedreht auf MM, Stuhl steht dahinter auf HL, unbeschriebene Blätter auf dem Tisch links, Schokoriegel auf dem Tisch rechts, Mülleimer unter dem Tisch, Briefumschlag liegt links oben auf dem Tisch

(Leonie kommt aus dem LOFF mit dem Schreibmaschinenkoffer, stellt den Koffer ab, macht den Koffer auf, holt die Maschine aus dem Koffer, schiebt den Koffer von sich weg, steckt Papier in die Schreibmaschine, nimmt den Schokoriegel, beißt ordentlich und genüsslich rein, kaut und setzt sich währenddessen auf den Stuhl, tippt in die Schreibmaschine.) 

Text vom Band aus dem OFF (mit Leonies Stimme). Liebe Sandra … 

LEONIE (hört mit dem Tippen auf, atmet einmal tief ein – und aus, nachdenklich). Na ja, ob ich dich wirklich so lieb finde …? (Jetzt ein wenig energischer.) Ob überhaupt irgendjemand jeden, den er mit „Liebe“ oder „Lieber“ anschreibt, auch wirklich lieb findet – das bezweifle ich doch irgendwie … (Tippt wieder.) 

Text vom Band aus dem OFF (mit Leonies Stimme). Da ich immer noch von Vater ein absolutes Computer- und Handyverbot habe und du meine Handschrift kaum lesen kannst, habe ich Opas alte Schreibmaschine ausgepackt, um dir diesen Brief zu schreiben. (Hört auf zu tippen.) 

LEONIE (ernst). Okay, genug Smalltalk. (Tippt.)

Text vom Band aus dem OFF (mit Leonies Stimme). In zwei Wochen ist ja schon Mamas dritter Todestag. Vergiss das bitte nicht. Vater könnte dir das nämlich sonst sehr übel nehmen. (Hört auf zu tippen.) 

LEONIE (bedeutungsschwer). Okay, das wäre wohl geschafft. (Atmet tief durch, spricht ins Ausatmen.) Nun zum eigentlichen Anliegen. (Rafft sich wieder auf, tippt.) 

Text vom Band aus dem OFF (mit Leonies Stimme). Sandra, ich möchte, dass du weißt, dass ich in letzter Zeit sehr viel nachgedacht habe: über dich und mich, über deinen Kuss mit Tim. Darüber, wie sehr ihr mir damit wehgetan habt, mich hintergangen habt. 

(Leonie hört auf zu tippen, lehnt sich zurück und legt den Kopf kurz in den Nacken, seufzt, setzt sich wieder normal hin, tippt.) 

Text vom Band aus dem OFF (mit Leonies Stimme). Und ich möchte dir sagen, dass ich zu dem Entschluss gekommen bin, (kurze Pause, Leonie hört auf zu tippen, atmet tief ein und aus, tippt weiter) dir zu vergeben. Ich vergebe dir von ganzem Herzen. Auch wenn meine Gefühle mich immer noch zerreißen, bist und bleibst du meine Schwester und ich liebe dich. Sandra, ich vergebe dir, dass du meinen Verlobten geküsst hast. (Leonie hört auf zu tippen, überlegt kurz, tippt weiter.) Eigentlich bin ich dir sogar dankbar dafür, denn der Kuss hat mich vor einer unglücklichen Ehe bewahrt. Also lass uns endlich das Kriegsbeil begraben und komm uns zu Mamas Todestag endlich besuchen. Vater wird sich freuen und ich möchte keinen Keil mehr zwischen ihn und dich treiben. In Liebe, deine Leonie. PS: Es tut mir wirklich leid, dass ich

(Es klopft.)

LEONIE (erschreckt sich, isst hektisch den Riegel zu Ende und wirft das Papier in den Mülleimer). Herein!

MIRA (betritt das Zimmer aus dem LOFF, bleibt auf MR stehen, hält hinter dem Rücken einen Granatapfel in der rechten Hand, über der rechten Schulter eine Handtasche). Hey Leonie, ich bin was früher da.

LEONIE (überrascht). Hi Mira, wie bist du denn hereingekommen?

MIRA. Dein Vater hat mich hereingelassen. Zwar etwas widerwillig, aber na ja, das ist ja zweitrangig. Wir standen praktisch gleichzeitig vor eurer Tür. Hier, ich habe dir was mitgebracht. (Reicht Leonie einen Granatapfel in die Hand.)

LEONIE. Äh, danke! (Steht auf, nimmt den Granatapfel an, lächelt unsicher.) 

MIRA (erklärend). Als Unterstützung für deine Essensumstellung. Ich finde es super, dass du dich jetzt gesünder ernähren möchtest.

LEONIE. Äh, ja … (Legt den Granatapfel auf den Tisch, sammelt sich etwas.) Läuft auch echt gut, muss ich sagen.

MIRA. Freut mich! (Entdeckt die Schreibmaschine, neugierig.) Ist das etwa die alte Schreibmaschine deines Opas? Cool! Was schreibst du denn damit?

LEONIE (ablenkend). Ach, äh … Was für mein Tagebuch. Ist nicht so wichtig. 

MIRA. Ach komm, zeig doch mal. Ich bin doch deine beste Freundin! (Geht auf MM.)

LEONIE (stellt gleichzeitig hastig die Schreibmaschine in den Schreibmaschinenkoffer, klappt den Koffer zu). Nee, ähm … Lass das bitte. Das ist privat. Wie gesagt, für mein Tagebuch. (Ablenkend.) Wie geht es deinem neuen Freund?

MIRA. Themenwechsel, interessant. (Kurze Pause.) Ich glaube, ganz gut. 

LEONIE. Du glaubst?!

MIRA. Ach, mich interessieren halt im Moment andere Dinge mehr als sein Wohlbefinden.

LEONIE. Ist irgendwas passiert?

MIRA. Nein, wieso?

LEONIE. Ja, aber dann … (Ernst.) Mira, liebst du ihn denn überhaupt?

MIRA. Lieben? Was heißt denn schon lieben? Sein Vater führt ein erfolgreiches Unternehmen. Und Dennis wird es einmal erben. Das ist doch mal ein überzeugender Grund für eine Beziehung! (Kurze Pause.) Außerdem wollen Frauen doch Liebe. Männer sehnen sich sowieso eher nach Respekt. Und den Respekt gebe ich ihm. Zumindest, wenn ich gerade bei ihm bin.

LEONIE. Ja, aber Männer wollen doch auch geliebt werden. 

MIRA. Du hast Tim auch geliebt, nicht wahr? (Leonie schaut traurig zu Boden.) Und, was hat es dir gebracht? (Kurze Pause.) Und jetzt lass mich mal lesen, was du da geschrieben hast auf deiner …

LEONIE (unterbricht). Und was sagst du Dennis, wenn er dich fragt, ob du ihn liebst?

MIRA (geht im Uhrzeigersinn um Leonie und den Tisch herum, spricht dabei theatralisch). Dann sage ich ihm natürlich, dass ich ihn über alles liebe. Dass er das Beste und Wichtigste in meinem Leben ist!

LEONIE (ernst). Aber das ist doch gelogen, Mira.

MIRA. Gelogen, hm? (Spöttisch.) Bist wohl der Überzeugung, dass Ehrlichkeit am längsten währt, nicht wahr?

LEONIE. Ja, definitiv. 

MIRA. Deine Ehrlichkeit hat dir bei deinem Tim auch nicht viel gebracht. 

LEONIE (verletzt). Mira, du bist meine beste Freundin. Aber manchmal, da sagst du echt gemeine Dinge … 

MIRA (uneinsichtig, anklagend). Ach, auf einmal ist dir die Wahrheit doch nicht mehr so recht, hm?! 

LEONIE (ernst). Und manchmal, da machst du mir sogar ein wenig Angst.

MIRA (anklagend). Ich mache dir Angst?!

LEONIE. Ja, manchmal bin ich mir nicht sicher, ob du mir gegenüber ehrlich bist. Zu vielen bist du es ja eben nicht … (Blick geht betrübt zu Boden.)

MIRA (versöhnlich). Bei dir ist es was anderes. Du bist mir wirklich wichtig. Du bist für mich wie … eine Schwester. 

LEONIE. Ja, du doch auch für mich, aber …

MIRA (unterbricht). Was, aber?! Ich bin ja wohl viel eher eine Schwester für dich als Sandra. Nicht immer ist Blut dicker als Wasser! (Kurze Pause, süffisant.) Ich feiere es immer noch, wie wir sie in den sozialen Medien fertiggemacht haben, diese hinterhältige Schlange! (Schadenfroh, fast fröhlich.) Okay, du hast jetzt zwar seit zwei Wochen Computer- und Smartphoneverbot von deinem Vater dafür auferlegt bekommen, aber komm schon: Das hat sich total gelohnt! Jetzt wissen alle, dass sie eine miese kleine Schla …

LEONIE (unterbricht). Mira, das ist sie nicht!

MIRA (verdattert). Was?! Wie meinst du das? Was ist passiert, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben? Gibt es da etwas, wovon ich nichts weiß?

LEONIE. Mira, schau … (Etwas beschämt.) Es tut mir leid, ich habe dir eben nicht ganz die Wahrheit gesagt. Ich schreibe … ja, ich habe eben nicht an meinem Tagebuch geschrieben, sondern einen Brief an Sandra, einen Versöhnungsbrief …

MIRA (völlig außer sich). Einen was?! Und ausgerechnet du wirfst mir Unehrlichkeit vor?! Dass ich nicht lache! 

LEONIE. Das ist doch was anderes!

MIRA. Nein, ist es nicht!

LEONIE. Aber sie ist doch meine Schwester! Ich kann ihr doch nicht ewig böse sein.

MIRA. Doch, das kannst du!!! (Pause.) Was steht denn so in deinem Briefchen?! (Will über MH um den Tisch herumgehen.)

LEONIE („stoppt“ Mira mit ihrem ausgestrecktem Arm auf HM, Leonie denkt kurz nach, atmet einmal ein und aus). Okay … (Klappt den Koffer auf, holt die Schreibmaschine heraus, stellt den Koffer unter den Tisch.) Lass mich kurz nur noch den Satz zu Ende schreiben. (Tippt 4 Sekunden, nimmt das Blatt aus der Schreibmaschine und gibt es Mira.)

(Mira geht mit dem Brief nach VR, steht mit dem Rücken zu Leonie und „liest“ den Brief leise, wütender Blick.)

LEONIE (vorsichtig). Und … was sagst du?

MIRA (setzt schlagartig ein falsches Lächeln auf). Das hast du gut geschrieben. (Pause.) Und du hast ja auch recht. Ich möchte dich bei deinem Vorhaben so gut ich nur kann unterstützen. (Fieser Blick in Richtung Publikum.)

LEONIE (verwundert). Woher der Sinneswandel?

MIRA. Ach, ähm … (geht auf MR) dein Brief hat mich überzeugt!

LEONIE (misstrauisch). Mira, ich weiß gerade nicht, ob ich dir wirklich glauben kann.

MIRA (versöhnlich). Doch, natürlich kannst du das! Und ich werde es dir beweisen!

LEONIE. Und wie willst du es mir beweisen? 

MIRA. Indem ich dich unterstütze. Ich werde den Brief sogar für dich wegschicken.

LEONIE. Das würdest du für mich tun?!

MIRA. Ja, klar. Du bist doch meine beste Freundin! Ich würde alles für dich tun!

LEONIE. Danke! (Erschreckt sich.) Huch! Ich hatte ganz vergessen: Ich sollte doch meinem Vater gleich beim Kartoffelschälen helfen. Eigentlich hättest du ja auch erst nach dem Essen kommen sollen. Ist es okay für dich, hier auf mich zu warten? Bin in ein paar Minuten wieder da. 

MIRA. Ja, klar. Kein Problem. Ich freue mich schon aufs Essen. Vielleicht empfindet dein Vater es diesmal als okay, wenn ich mitesse. Ich bereite deinen Brief so lange schon mal vor.

LEONIE. Danke, Briefumschlag liegt auf dem Tisch. Bis gleich. (Geht ins LOFF.)

MIRA (freundlich). Ja, bis gleich. (Schaut Leonie hinterher, bis sie weg ist, dann in fiesem Ton.) Mal sehen, was sich machen lässt. (Nimmt den Brief, schüttelt angeekelt den Kopf, zerknüllt den Brief und steckt ihn sich in die Handtasche, setzt sich an die Schreibmaschine.) Gut, dass ich mal einen Schreibmaschinenkurs besucht habe. (Grinst zwielichtig, tippt los.)

Text vom Band aus dem OFF (abfällig, spöttisch, mit Miras Stimme). Sandra, Schwesterherz. Ich schreibe dir diesen Brief auf der Schreibmaschine, weil ich deinetwegen, meine Liebe, immer noch Internetverbot habe und du zu blöd dafür bist, meine Handschrift zu lesen. Dieser Brief ist alles andere als ein Versöhnungsbrief. Denn, machen wir uns nichts vor, du bist und bleibst ein Miststück! Aber eigentlich mag ich dich noch ganz gerne. Aber eher weniger als meine Schwester, sondern eher mehr als eine Fremde in der Ferne, eine böse Erinnerung aus der Vergangenheit

(Weiter Tippgeräusche vom Band für ca. 6 Sekunden, Mira tippt so lange noch. Dann nimmt sie den Brief vorsichtig aus der Schreibmaschine und steckt ihn in den Briefumschlag.)

LEONIE (kommt rein, als Mira gerade den Brief zumacht). Mira, komm, die Kartoffeln sind im Topf. Wir können schon mal hinuntergehen …

MIRA (hastig). Äh, hör mal Leonie. Meine Oma hat eben angerufen. Der gehts wieder nicht so gut. Ich muss schnell zu ihr. Aber auf dem Weg dorthin ist bestimmt ein Briefkasten. Da kann ich den Brief ja reinwerfen. (Geht los Richtung LOFF, will an Leonie vorbei.)

LEONIE (hält sie auf, steht Mira jetzt gegenüber, verwundert). Okay, … Äh, Mira, warte doch mal. Ist es ernst mit deiner Oma?

MIRA. Was? Ach so, nein, nein. Ich muss nur ein Medikament für sie besorgen, bevor die Apotheke zumacht.

LEONIE. Ah, okay. Und … hast du denn überhaupt eine Briefmarke?

MIRA. Ja, ja. In meiner Handtasche. (Geht etwas unsicher links an Leonie vorbei.)

LEONIE. Okay, vielen Dank dir! Und eine gute Besserung!

MIRA (schaut verwirrt zurück). Was meinst du?

LEONIE (betont). Deiner Oma, Mira. lch wünsche ihr eine gute Besserung.

MIRA. Ach so, ja. Danke. (Will sichtbar weg.)

LEONIE. Aber warte doch noch kurz im Flur auf mich. Ich brauche nur noch einen kurzen Moment hier.

MIRA (etwas verwirrt und nervös). Äh, wieso? Wieso soll ich auf dich warten? Willst du etwa doch mitkommen …?

LEONIE. Nein, ich will nicht mitkommen. Das Essen kocht doch. Schon vergessen? Ich will dir unten noch was geben und dich knuddeln.

MIRA (sichtlich erleichtert, versucht zu lachen). Ach so. Ja, klar! Bis gleich im Flur. (Geht ins LOFF.)

(Leonie stellt sicher, dass Mira weg ist, nimmt den Granatapfel in die Hand, hält ihn hoch, schüttelt den Kopf, wirft den Granatapfel keck in den Mülleimer und geht ins LOFF ab.)

Opas Schreibmaschinen

Szene 2: Sandra – Opas Schreibmaschinen

Beteiligte: Sandra

Requisiten: Tisch, Stuhl, Schreibmaschinenkoffer mit Schreibmaschine 2 und unbeschriebenen Blättern drin, Brief im beschrifteten Briefumschlag

Location Bühne 2: vom Zuschauerraum aus gesehen vorn, auf Zuschauerebene, Tisch steht auf MM, Stuhl dahinter Richtung HM, ungeöffneter Briefumschlag liegt in der Mitte des Tisches

SANDRA (geht nervös im Raum hin und her, schaut immer wieder zu dem ungeöffneten Briefumschlag, atmet tief ein). Na gut. (Geht zum Tisch, nimmt den Briefumschlag, stellt sich nervös auf HM, öffnet den Briefumschlag nervös, „liest“ leise den Brief, der sich darin befindet.) 

Text vom Band aus dem OFF (mit Sandras Stimme). Sandra, Schwesterherz. Ich schreibe dir diesen Brief auf der Schreibmaschine …

Text vom Band aus dem OFF (spöttisch, scharf, abfällig, mit Leonies Stimme).weil ich deinetwegen, meine Liebe, immer noch Internetverbot habe und du zu blöd dafür bist, meine Handschrift zu lesen. Es ist alles andere als ein Versöhnungsbrief. Denn, machen wir uns nichts vor, du bist und bleibst ein Miststück! (Sandra wendet sich kurz, aber sichtlich verletzt vom Brief weg, liest dann weiter.) Aber eigentlich mag ich dich noch ganz gerne. Aber eher weniger als meine Schwester, sondern eher mehr als eine Fremde in der Ferne, eine böse Erinnerung aus der Vergangenheit. Ich bin froh und glücklich, dass dich Vater ins Internat gesteckt hat. Das hast du echt verdient. (Sandras Augen beginnen zu tränen, sie muss schluchzen, reagiert während des Weiterlesens immer emotionaler und wütender und es kommen immer mehr Tränen.) Ich hoffe, dir gehts echt mies und du kommst da nie wieder raus! Und wage es ja nicht, am Todestag unserer Mutter hier aufzutauchen! Du bist eine Schande für die ganze Familie und ich werde dir niemals vergeben! PS: Ich habe keine Schwester mehr!

(Sandra bricht zusammen, weint, schluchzt verzweifelt, beruhigt sich nach einer Weile ein wenig, geht ins LOFF, kommt aus dem LOFF mit einem Koffer wieder. Stellt den Koffer auf den Tisch, öffnet den Koffer, holt eine Schreibmaschine aus dem Koffer und stellt diese auf den Tisch, holt ein Blatt aus dem Koffer hervor und legt es auf den Tisch, stellt den Koffer unter den Tisch, setzt sich auf den Stuhl, steckt das Blatt in die Schreibmaschine und tippt los.) 

Text vom Band aus dem OFF (mit Sandras Stimme). Liebe Leonie, ich schreib dir ebenfalls auf einer von Opas Schreibmaschinen, denn ich weiß, dass meine Handschrift, genauso wie deine, vollkommen unleserlich ist. Leonie, ich weiß, dass furchtbare Dinge zwischen uns vorgefallen sind. Ich habe dich verletzt und du hast mich verletzt. Aber wir sind doch trotzdem noch Schwestern. Das mit Tim tut mir wirklich so schrecklich leid! Bitte glaub mir doch endlich, dass nicht ich ihn, sondern er mich geküsst hat. Ja, ich habe den Kuss zugelassen, habe ihn nicht von mir gestoßen. Das hätte ich sicherlich tun sollen. Bitte vergib mir dafür. Auch ich möchte dir vergeben, für dein Mobbing in den sozialen Medien und auch für den … (Kurze Pause.) 

SANDRA (schreit). NEIN, FÜR DIESEN BRIEF WERDE ICH DIR NIEMALS VERGEBEN! (Reißt wütend das Blatt aus der Schreibmaschine raus, nimmt sich ein neues Blatt aus dem Koffer, steckt es in die Schreibmaschine und tippt wütend drauflos.)

Text vom Band aus dem OFF (mit Sandras Stimme). Hey, Schwesterherz, vielen Dank für deinen Brief! Wirklich, ich danke dir von Herzen. Denn er hat mir wieder einmal neu deine Dummheit offenbart. Du bist ein furchtbarer Mensch und ich sitze deinetwegen in diesem Internat fest! Das werde ich dir niemals verzeihen. Genauso wenig wie deine Mobbingaktion in den sozialen Medien. Und ganz sicherlich auch nicht deinen letzten Brief! Übrigens: Tim und ich haben den Kuss richtig genossen und ich bin froh, dass es dazu kam. Ich hasse dich! Deine Ex-Schwester Sandra. PS: Tim hat mir nach unserem leidenschaftlichen Kuss ins Ohr geflüstert, dass ich schon immer diejenige war, die er haben wollte. Du bist immer nur sein Notnagel gewesen. 

(Sandra nimmt das Blatt aus der Schreibmaschine raus, geht auf VR „überfliegt“ ihn traurig, fängt an zu weinen und läuft mit dem Blatt in der Hand ins LOFF.)

Opas Schreibmaschinen

Szene 3: Das Ende – Opas Schreibmaschinen

Beteiligte: Leonie, Mira, Sandra

Requisiten: 2 Tische, 2 Stühle, Schreibmaschine 1+2 auf den jeweiligen Tischen, unbeschriebene Blätter, 1 beschriebenes Blatt, 2 beschriebene Blätter in beschrifteten Briefumschlägen, 1 beschrifteter Briefumschlag, 2 Mülleimer

Location Bühne 1: Tisch auf MM, Stuhl steht etwas links zum Tisch in Richtung Publikum gedreht, Schreibmaschine im Koffer auf dem Tisch, Mülleimer unter dem Tisch, unbeschriebene Blätter auf Tisch links oben

Location Bühne 2: Tisch auf MM, Stuhl dahinter Richtung HM, Schreibmaschinenkoffer mit unbeschriebenen Blättern unter dem Tisch, Schreibmaschine auf dem Tisch, Mülleimer unter dem Tisch

! Bühne 1:

(Leonie und Mira kommen aus dem LOFF. Leonie zuerst, sie hat ein beschriebenes Blatt in ihrer Hand und schaut traurig. Mira dagegen hat ein schadenfrohes Grinsen auf den Lippen, das sie versucht zu verstecken. Leonie setzt sich mit apathischem Blick auf den Stuhl, mit Blick zum Publikum, und hält das Blatt im Schoß. Mira stellt sich rechts neben sie und legt ihre linke Hand auf Leonies rechte Schulter, beide schweigen einige Sekunden.)

LEONIE (unsicher). Mira?

MIRA (scheinheilig behutsam). Ja, Leonie?

LEONIE (schaut die ganze Zeit ins Publikum, spricht leise). Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll … Ich weiß auch nicht, was ich jetzt machen soll. Ich weiß es einfach nicht.

MIRA. Das verstehe ich. Das ist natürlich jetzt ein Schock für dich. Ich wüsste an deiner Stelle auch nicht, was zu tun ist.

LEONIE (dreht ihren Kopf zu Mira). Und wenn du nicht an meiner Stelle wärst?

MIRA (leicht verunsichert). Was meinst du?

LEONIE (dreht den Kopf wieder in Richtung des Publikums). Du sagst, wenn du an meiner Stelle wärst. Du bist aber nicht an meiner Stelle. Was würdest du denn machen, wenn du nicht an meiner Stelle wärst – was du ja nicht bist? Was würdest du machen, wenn du deiner Schwester einen Versöhnungsbrief schreibst und sie dir so darauf antwortet?

MIRA (nimmt den Arm von Leonies Schulter weg). Ich würde es der blöden Kuh so richtig zeigen!

LEONIE (leicht apathisch). Und wie?

MIRA (in fiesem Ton). Mit einem „netten“ Brief! Einem Brief voller Anklagen und Lügen! Über sie und darüber, was andere Menschen über sie so sagen. Fiese Dinge eben …

LEONIE (gleichgültig). Okay … (Legt den Brief auf den Tisch, dreht den Stuhl zum Tisch, nimmt ein unbeschriebenes Blatt vom Tisch und steckt es in die Schreibmaschine, tippt.)

(Tippgeräusche vom Band aus dem OFF. Mira steht mit verschränkten Armen links von Leonie und schaut mit einem fiesen, selbstzufriedenen Blick auf die Schreibmaschine. Leonie hört mit dem Tippen auf, nimmt das Blatt aus der Schreibmaschine und gibt es Mira. Mira geht damit ins LOFF, Leonie erstarrt. Ab hier wird es surreal!)

! Bühne 2:

(Sandra kommt aus dem LOFF mit einem Briefumschlag in der Hand, stellt sich auf HL, öffnet ihn und liest den Brief, der sich darin befindet, leise, zerknüllt den Brief wütend und wirft ihn in den Mülleimer, holt ein unbeschriebenes Blatt aus dem Koffer, setzt sich an die Schreibmaschine, tippt, ab hier Tippgeräusche vom Band aus dem OFF bis zum Ende des Stückes als „Hintergrundmusik“!)

! Bühne 1:

(Mira kommt mit einem neuen verschlossenen Briefumschlag wieder aus dem LOFF, Mira öffnet den Briefumschlag und gibt den Brief, der sich darin befindet, an Leonie. Leonie „liest“ ihn, ärgert sich, zerknüllt den Brief, wirft ihn auf den Boden, nimmt ein neues unbeschriebenes Blatt vom Tisch, steckt das Blatt in die Schreibmaschine, fängt wieder an zu tippen.)

! Bühne 2: 

(Sandra nimmt den Brief aus der Schreibmaschine, geht damit ins LOFF, kommt mit einem beschrifteten Briefumschlag wieder, stellt sich auf VM, schaut den Umschlag nachdenklich an, zerreißt ihn und wirft die Stücke in den Mülleimer, packt die Schreibmaschine in den Koffer, geht traurig mit dem Koffer ins LOFF.)

! Bühne 1: 

(Leonie hört mit dem Tippen auf, nimmt das Blatt aus der Schreibmaschine und gibt es Mira, Mira geht mit dem Blatt ins LOFF, Leonie packt die Schreibmaschine in den Koffer und geht damit enttäuscht ins LOFF.)

Ende

“Opas Schreibmaschinen” ist inspiriert durch Sprüche 6,16-19. Die Uraufführung fand am 13.02.2022 in der “Gospel Church Köln” statt. Die Rechte für eine Aufführung durch Dritte und das Technikskript können bei mir für einen symbolischen Betrag erworben werben.

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Biografie

Der Spaziergang: Und es geht (k)einen Schritt weiter

Photo by Amirhosain Gazor on Unsplash.

Es folgt eine Textprobe aus einer Biografie eines Privatkunden. Alle Namen wurden geändert.

Winter 1972: Wolfgang und Elisabeth sitzen in einem kleinen, hübschen Café in Hückeswagen. Sie waren 1972 hier in die Nähe von Elisabeths Eltern gezogen. Beide sind angespannt. Der Grund für ihre Aufregung sind die Gäste, auf die sie gerade warten: Vera und ihr Ehemann, der ebenfalls Wolfgang heißt. Wolfgang Meyer hatte die beiden eingeladen. Wobei die Idee, sie einzuladen, von Elisabeth kam. Sie wollte „diese Vera“ einfach mal besser kennenlernen – so zumindest Elisabeths Aussage. Die Frau, von der sie wusste, dass Wolfgang sie bald für sie verlassen wird, obwohl sie ein schwerbehindertes Kind zusammen haben.

Markus hatte bei seiner Geburt die Nabelschnur um den Hals und ist wegen des Sauerstoffmangels nun mehrfachbehindert. Von einer dauerhaften Behinderung war kurz nach der Geburt jedoch noch nicht die Rede. Es hatte sich nach und nach langsam herausgestellt, dass Markus in seiner Entwicklung stark verzögert ist. Die Ärzte betonten aber, dass man durch moderne physiologische Methoden noch alles erreichen könne. Es ist wohl eine grundsätzliche Einstellung von Ärzten, dass sich alles noch verbessern lässt. Das Gegenteil wird von ihnen so lange beiseite geschoben, bis es nicht mehr geleugnet werden kann – davon ist Wolfgang überzeugt …

Wie stark Markus gesundheitliche Einschränkungen sind, das hatte sich in den letzten Monaten deutlich gezeigt: Der Junge hatte einfach nichts dazugelernt. Keine Bewegungen, gar nichts. Auch jetzt noch kann er weder sitzen noch krabbeln, muss deshalb ständig getragen werden. Elisabeth und Wolfgang hatten alles in ihrer Macht Stehende versucht, um Markus eine koordinative Entwicklung zu ermöglichen. Doch nichts hat sie näher an das gewünschte Ziel gebracht. Weder die zahlreichen Trainings in speziellen Institutionen, wie zum Beispiel in München, noch die alltäglichen Übungen zu Hause. Was noch erschwerend dazukam, war seine große Anfälligkeit für Krankheiten. Ständig wurde der Junge krank, hatte jedes kleinste Zipperlein abbekommen. Sein junges Leben war von Krankenhausaufenthalten geprägt. Mal wegen eines Leistenbruchs, mehrmals wegen Lungenentzündung. Nach jedem Krankenhausaufenthalt waren die kleinen Fortschritte, die er nach Wochen der Durchführung der Bobath’schen Übungen machte, wieder verschwunden. Irgendwann meinten die Ärzte auch, dass der Hirnschaden bei Markus sicherlich früher oder später die sogenannten Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe verursachen würde, eine seltene und sehr ernst zu nehmende Säuglings-Epilepsie.

Der gesundheitliche Zustand von Markus sorgte bei Wolfgang für ein noch größeres schlechtes Gewissen, wenn er immer wieder an Trennung dachte. Und daran, dass er doch viel lieber mit seiner Vera zusammen wäre. Aber er konnte Elisabeth doch nicht mit einem schwer kranken Kind im Stich lassen! Doch trotz seines schlechten Gewissens waren Wolfgang und Elisabeth als Paar nicht zusammengewachsen in all ihren gemeinsamen Schwierigkeiten – ganz im Gegenteil: Sie stritten umso mehr. Deshalb der Beschluss zur Trennung. Und zum gemeinsamen Treffen mit Vera und ihrem Ehemann.

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Sie sind da. Wolfram und Elke stehen auf, um sie mit einem Händeschütteln zu begrüßen. Höflich – fast aufgesetzt freundlich –, und damit auch vorsichtig distanziert fällt die Begrüßung aus. Eine seltsame Situation. Es liegt Spannung in der Luft. Die Bedienung kommt. Wolfgang bestellt sich einen Cappuccino und ein Wasser, Vera einen Kakao. Die anderen beiden jeweils einen Kaffee. Die vier unterhalten sich über Belanglosigkeiten. „Leckerer Kaffee“, meint Veras Mann. „Der Kakao ist auch nicht schlecht“, erwidert Vera.

Es ist nicht das erste Mal, dass Vera Wolfgang besucht. Nach der Geburt von Markus hatte er den Kontakt zu ihr zwar nicht abgebrochen, aber zumindest gemieden. So sehr hatte ihn damals die Behinderung seines Sohnes aus der Bahn geworfen. Immer, wenn Vera versucht hatte, ihn anzurufen, war er nicht ans Telefon gegangen und hatte auch nicht zurückgerufen. Deshalb stand Vera eines Tages einfach so vor Wolfgangs Tür. Elisabeth war gerade nicht da. Sie war arbeiten. Wolfgang hatte sich sehr gefreut, Vera wiederzusehen. Sie hatten sich ja quasi von April bis Herbst 1972 nicht gesehen. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb war dieses erste Aufeinandertreffen irgendwie krampfhaft. Sie hatten darüber gesprochen, wann Wolfgang sich denn endlich von Elisabeth trennen würde. Wolfgang hatte sich herausgeredet, wollte sich nicht festlegen. Dann hatten sie sich innig geküsst und anschließend miteinander geschlafen. Beim Abschied hatte Wolfgang Vera versprochen, dass er sich bei ihr melden würde. Das hatte er dann auch nach einer ganzen Weile getan. Eben an dem Tag, als er gemerkt hatte, dass er es endgültig nicht mehr mit Elisabeth aushält. Wolfgang war sich eigentlich sehr sicher gewesen, dass er von Vera eine Abfuhr bekommen würde. Doch die bekam er nicht, als er sie anrief. Nach einigen mehr oder weniger heimlichen Treffen zu zweit, sitzen Wolfgang und Vera nun mit ihren jeweiligen Ehepartnern in diesem kleinen Café in Hückeswagen.

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Ihre Getränke sind mittlerweile leer, Wolfgangs zweite Zigarette ist zu Ende geraucht. Zu viert machen sie sich zu einem Spaziergang auf. „Welche Route sollen wir nehmen?“, fragt Wolfgang. Elisabeth antwortet: „Vielleicht erst mal die Straße hier hoch und dann rechts abbiegen. Der Weg eignet sich besonders gut zum Spazieren!“ „Wirklich schönes Wetter heute“, wirft Vera ein. Sie gehen den von Elisabeth vorgeschlagenen Weg. Weitere Belanglosigkeiten werden ausgetauscht. Niemand spricht den Elefanten im Raum an. Allen sind aber die neuen Verhältnisse bewusst, auf die sie sich demnächst einstellen müssen. Wobei es Veras Mann tatsächlich erst jetzt zu dämmern scheint, dass Vera eine Affäre mit Wolfgang hat. Seiner Reaktion nach scheint es ihm aber auch nicht allzu weh zu tun. Zumindest trägt er es mit Fassung. Über die Ehe von ihm und Vera weiß Wolfgang, dass die beiden sich zwar nur selten streiten, dafür aber sonst nicht viel miteinander am Hut haben. Jeder führt so sein Leben parallel zum anderen. Die vier kommen am Auto von Vera und ihrem Mann an, womit der Spaziergang beendet ist. Die beiden verabschieden sich, steigen ins Auto und fahren davon, ohne etwas Gehaltvolles mit Wolfgang und Elisabeth besprochen zu haben.

Wolfgang und Elisabeth winken noch kurz freundlich und gehen dann schweigend nebeneinander nach Hause.

Wieder zu Hause angekommen, ist Wolfgang müde. Müde von Elisabeths langem Vortrag, den sie gerade darüber hält, wie blöd und unsympathisch Vera sei. Er geht aus dem Wohnzimmer ins Schlafzimmer, um von Elisabeth wegzukommen. Elisabeth läuft ihm hinterher. Sie redet weiterhin auf ihn ein: „Die passt nicht zu dir! Ich weiß gar nicht, was du an dieser seltsamen Frau findest! Wir passen doch viel besser zusammen. Komm, uns geht es doch prima zusammen. Und das mit den kleinen Streitereien kriegen wir auch noch hin … Wolfgang, du kannst nicht gehen! Wir haben schließlich ein schwerbehindertes Kind zusammen! Markus braucht Mutter und Vater!“

Vor dem Treffen mit Vera und ihrem Mann hatte Elisabeth ihm glaubhaft erklärt, dass sie die bevorstehende Trennung akzeptieren würde und es sogar gut und richtig findet, sich voneinander zu trennen. Dementsprechend hatte sie sich auch verhalten. Wolfgang hatte ihr geglaubt, ihr ihr Schauspiel abgenommen. Bis zu diesem Tag hatte Elisabeth jedoch auch nicht gewusst, dass sich Wolfgang nach der Trennung sofort mit Vera zusammentun würde. Das war ihr erst jetzt klar geworden. Wolfgang versteht nun ebenfalls gerade, dass Elisabeth nicht bereit ist, ihn loszulassen. Er spürt, dass die Trennungszeit wahrscheinlich doch nicht so leicht verlaufen wird, wie er es sich erhoffte. Er will jedoch weg von Elisabeth. Ganz dringend. Wolfgang schnappt sich seine Jacke und geht einmal um den Block.