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Aus der Prostitution in die Freiheit

Sarah Venga im Interview

Sarah ist 23 Jahre alt und stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. Sie lebt in Köln und arbeitet dort als Friseurin. Ihre große Leidenschaft und gleichzeitig auch Familie ist ihre Gemeinde, die Gospel Church in Köln. Sarah liebt ihren Glauben über alles, weil er ihr ein völlig neues Leben geschenkt hat. Er hat sie aus der Prostitution befreit. Das Interview ist zuerst erschienen in dem Magazin KLARTEXT.

Prostitution
Aus der Prostitution raus: Sarah Venga

Hallo, Sarah, du hast als Kind Missbrauch erlebt. Was kannst und willst du uns darüber erzählen?

Sarah: Bereits mit sieben gab es zum ersten Mal eine Situation mit meinem Nachbarn, einem alleinstehenden Mann, bei dem meine Mutter mich immer gelassen hat, wenn sie arbeiten musste und ich nicht in den Kindergarten konnte. Obwohl es schon so lange her ist, erinnere ich mich noch sehr gut daran, wie er mich zum ersten Mal angefasst hat. Er hat mich auf seinen Schoß gesetzt und Bewegungen gemacht. Mit meinen sieben Jahren hatte ich von Sex und Missbrauch natürlich keine Ahnung und habe schon deshalb niemandem davon erzählt, was der Nachbar mit mir gemacht hat.

In den Jahren darauf, bis ich etwa 13 Jahre alt war, wurde ich dann immer wieder sexuell belästigt. Meistens von Bekannten der Familie. Manche Vorfälle waren wirklich sehr schlimm. Meine Mutter erstattete immer wieder Anzeige gegen verschiedene Leute. Einmal mussten wir sogar zur Kriminalpolizei, weil mich ein fremder Mann auf dem Weg zur Schule abgefangen und festgehalten hatte. Es gab also viele Vorfälle – auch mehrere Missbräuche durch unterschiedliche Menschen – die mich psychisch nach und nach zerstört haben. Und erst rückblickend habe ich verstanden, dass das alles mit sieben Jahren mit dem Nachbarn angefangen hatte.

Wie hat sich dein Leben nach dem Missbrauch verändert?

Sarah: Missbrauch macht mit einem viel mehr, als man sich das vielleicht vorstellt. Er hat mir meine persönlichen Grenzen, was die Sexualität angeht, weggenommen. Oder besser gesagt: gestohlen.

Wie bist du in die Prostitution gelangt?

Sarah: Ich wurde von einem Mann Ende 20 aus einem Auto heraus angesprochen, als ich gerade auf dem Weg zu einem Geburtstag war. Ich wurde ständig von Männern angesprochen. Vielleicht lag das daran, dass ich körperlich sehr viel reifer aussah, als ich es in Wirklichkeit war. Der Mann wollte mich zu der Feier fahren. Zuerst sagte ich zwar nein, schließlich bin ich dann aber doch in sein Auto gestiegen. Durch die zahlreichen Missbräuche hatte ich keine gesunden Grenzen mehr und hatte bereits mit vielen Männern geschlafen. Im Auto haben wir miteinander geredet und in den nächsten zwei Wochen täglich miteinander telefoniert. In dieser Zeit habe ich Vertrauen zu ihm aufgebaut, mich an unsere Gespräche gewöhnt und gehofft, dass eine Beziehung mit ihm zustande kommt – das war damals sicherlich alles Taktik von ihm. Und dann sagte er zu mir: „Sarah, ich möchte dir nichts vormachen. Das Einzige, was ich von dir will, ist, mit dir zu schlafen und dich dafür zu bezahlen.“ Natürlich sagte ich zuerst, dass ich doch keine Prostituierte sei und so etwas nicht mache. Als Fußball-Manager hatte er jedoch viel Geld und erzählte mir von einer Welt, die ich mir mit dem Geld aus der Prostitution dann auch würde leisten können. Als 15-Jährige, die nicht weit denken konnte und in keiner wohlhabenden Familie aufgewachsen ist, dachte ich an all die Dinge, die ich dann endlich haben könnte. Also ergriff ich diese „Gelegenheit“, ohne dabei an die Konsequenzen zu denken.

Der erste „Job“ fand in einem Hotel statt. Mir war vorher nicht bewusst, dass es so schlimm werden würde. Ich dachte, dass es mit meinem ersten „Kunden“ genauso wird, wie mit den anderen Männern. Nur diesmal eben für Geld. Und das ist ja sogar noch besser. Aber dieses Gefühl, wenn man da liegt, der Freier seine Bedürfnisse an einem befriedigt, danach das Geld auf den Nachttisch legt und ohne einen Mucks zu sagen rausgeht, ist einfach schrecklich. Ich fühlte mich so benutzt. Das ist überhaupt nicht damit zu vergleichen, wenn man aus Spaß mit jemandem schläft. Obwohl mir diese Erfahrung überhaupt nicht gutgetan hat, schlief ich noch mehrmals mit dem Fußball-Manager – und er hat mich dann mit weiteren Freiern in Kontakt gebracht.

Was hat die Prostitution mit dir gemacht?

Sarah: Die Prostitution hat vieles in meiner Seele zerstört. Ich habe noch immer mit den Folgen davon zu kämpfen. Die Schmerzen, die ich damals erlebt habe, sind in mir gespeichert. Meine Seele ist mit einer großen Schwere belastet. Zwar hatte ich schon vor der Prostitution aufgrund des Missbrauchs einen seelischen Schaden, die Prostitution hat das aber noch deutlich verschlimmert. Am Anfang gab mir die Prostitution mehr Selbstbewusstsein, weil ich dachte, dass ich endlich
mal für etwas gut genug sei. Aber nach einer Weile wurde es anders: Ich hatte bald das Gefühl, eben nur noch für die Prostitution gut genug zu sein. Nur gut genug dafür zu sein, benutzt zu werden. Dieses schreckliche Gefühl kann ich gar nicht in Worte fassen.

Glaubst du, dass es da einen Zusammenhang gab zwischen dem Missbrauch in deiner Kindheit und der Prostitution?

Sarah: Ja! Beim Missbrauch macht jemand mit dir, was er möchte. Dein Wille ist in diesem Moment völlig egal. Daran hatte ich mich gewöhnt. Und dieses Gedankengut hat sich bei mir eingeprägt und war mir in der Prostitution eine Art Hilfe. Der Missbrauch hatte mich sozusagen auf die Prostitution vorbereitet. Ich glaubte damals, dass jeder für etwas Spezielles gemacht worden ist. Und ich eben für die Prostitution. Das erschien mir logisch. Selbst heute noch, wenn mein Geld wirklich knapp wird, kämpfe ich manchmal mit dem Gedanken, mich wieder zu verkaufen.

Du sagst, dass Jesus dir begegnet ist und dir die Freiheit geschenkt hat. Erzähl uns davon!

Sarah: Meine erste Begegnung mit ihm hatte ich zu Hause beim Putzen. Ich war da 18 Jahre alt, litt wegen des Missbrauchs und der Prostitution an starken Depressionen und hatte bereits mehrmals versucht, mir das Leben zu nehmen. Jedenfalls hat mir dann YouTu-
be plötzlich ein christliches Lied in kongolesischer Sprache vorgeschlagen, in dem es um Jesus als besten Freund ging. Als einen
Freund, der treu ist und einen so liebt, wie man ist. Ich spürte plötzlich genau die Wärme und Liebe, nach der ich mein ganzes Leben lang vergeblich gesucht hatte. Dieses Gefühl hat mich so überrumpelt, dass ich anfing zu weinen. Mein Leben lang habe ich nach Zugehörigkeit gesucht. Nach wahrer Liebe. Nach jemandem, der in mir mehr sieht als nur eine Prostituierte. Und Jesus schien mir dieser Jemand zu sein.

Ich rief dann eine Freundin an, von der ich wusste, dass sie Christin ist, und erzählte ihr, was passiert war. Sie meinte, dass Jesus mir offensichtlich durch das Lied begegnet sei. Dass er lebendig ist und ich eine Beziehung zu ihm haben könne. Von diesem Tag an wollte ich mehr über Jesus wissen.

Ich fing an, nach ihm zu suchen. Und Gott sorgte dafür, dass mir immer wieder Christen über den Weg liefen, die mir mehr über Jesus erzählen konnten. Ich ging damals ganz bewusst nicht zu einem Pastor, weil ich Pastoren misstraute. Ich hatte zu viele Geschichten darüber gehört, wie sie andere missbrauchten. Deshalb tat ich ganz allein in meinem Kinderzimmer Buße und lud Jesus in mein Herz ein. Am Anfang war es für mich ziemlich seltsam, mit Gott zu sprechen. Schließlich sprach ich ja mit jemandem, den ich gar nicht sehen konnte. Bald konnte ich aber Gottes Gegenwart, seine Liebe und seine Vergebung spüren. Er nahm mir eine Last, die ich bis dahin mit mir herumgetragen hatte. Ich spürte, dass mich etwas Böses verlassen hatte und stattdessen etwas Friedliches in mir eingezogen war. Es war der Heilige Geist! Dass ich als Prostituierte überhaupt ein solches Privileg haben durfte – das hat mich am meisten berührt.

Hast du dann sofort mit der Prostitution aufgehört?

Sarah: Ja, ich habe danach sofort aufgehört. Es war aber trotzdem sehr schwierig für mich, mit sexueller Sünde an sich aufzuhören. Ich bin immer wieder gefallen. Das hat mich aber nicht davon abgehalten, mit Jesus zu sprechen. Ich hatte ihn als besten Freund kennengelernt; und mit einem besten Freund kann man über alles sprechen, was einen beschäftigt. Früher habe ich mit niemandem über persönliche Dinge gesprochen. Deshalb wusste niemand aus meiner Familie oder meinem Freundeskreis, dass ich Prostituierte war. Aber Jesus konnte ich nun alles erzählen. Pornografie, Sex oder Selbstbefriedigung: Heute habe ich das alles mit seiner Hilfe überwunden.

Sarah Venga lebt und liebt ihren Glauben

Wie sieht dein Leben jetzt aus? Wie lebst du deinen Glauben aus?
Sarah: Aufgrund meines Glaubens musste ich leider auch viele Opfer bringen. Ich habe meine Familie und auch Freunde verloren. Es hat ihnen nicht gepasst, wie ich mich verändert habe. Sie wollten irgendwann aus völlig banalen Gründen keinen Kontakt mehr zu mir. Meine Mutter hat mich dann zu Hause rausgeschmissen. Eine Zeit lang hatte ich nur eine einzige Freundin. Mit ihr bin ich immer noch befreundet.

Aber jetzt lebe ich meinen Glauben frei aus und liebe das Leben mit Christus. Ich bin Gott dankbar für das Leben, das ich jetzt leben darf. Dass ich ihm dienen darf, indem ich Zeugnis gebe von dem, was er für mich getan hat. Ich merke immer wieder, wie es Frauen berührt und stärkt.

Was empfiehlst du anderen im Umgang mit Menschen in der Prostitution?

Sarah: Das Schlimmste, was man machen kann, ist, Prostituierte in eine Schublade zu stecken und sie so aus der Gesellschaft auszusortieren. Man weiß nie, wie und wieso diese Frauen in die Prostitution geraten sind. Manche hatten einen Loverboy, für den sie aus Liebe ihren Körper verkauft haben. Andere geraten aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten hinein. Es ist ja nicht so, als ob man eines Tages aufwacht und beschließt, sich zu prostituieren. Die Arbeitsbedingungen in der Prostitution sind dermaßen schlimm, dass man nicht einfach sagen kann, dass die Frauen selbst schuld sind. Sie haben Gründe, wieso sie sich so etwas antun lassen. Denn freiwillig will sich so keine Frau behandeln lassen!

Prostituierte brauchen sehr viel Liebe. Sie brauchen jemanden, der ihnen zuhört und sie unterstützt. Viele warten darauf, dass irgendjemand sie
da rausholt. Bei mir war das Jesus. Aber oft benutzt Gott auch Menschen, um zu helfen. Man kann Frauen, die aussteigen wollen, beispielsweise zur Polizei begleiten. Es kann schon helfen, wenn man mit der Frau redet, sie mit der Realität der Prostitution konfrontiert.

2021 habe ich mir das Projekt „Schattentöchter“ angesehen. Das ist eine Organisation, die gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel vorgeht. Die Mitarbeiter klären darüber in Schulen auf und haben ein Wohnhaus gebaut, in dem Aussteigerinnen Schutz finden. Solche Projekte kann man auch unterstützen.

Vielen Dank für das Interview!

Sarah: Gerne!

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Kickbox-Weltmeister Ertan Bicakci im Interview

Mit Weltmeister Ertan Bicakci durfte ich Interviews für die Magazine KLARTEXT, DRAN und TEENSMAG führen. Hier folgt ein Zusammenschnitt dieser.

Kickbox-Weltmeister Ertan Bicakci im Interview
Weltmeister im Kickboxen Ertan Bicakci

Hallo Ertan, du bist NRW- und Europa- und Weltmeister. Wie fühlt es sich an, der allerbeste Kickboxer zu sein? 

Ertan: Wenn man viel Zeit, Kraft und Leidenschaft in eine Sache reingesteckt hat, dann ist es einfach ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man das, was man angestrebt hat, auch wirklich erreicht!

Ich habe mir immer gesagt, dass ich es schaffen werde und darauf gezielt hingearbeitet.

Du hast erst mit 23 Jahren mit dem Boxen angefangen. Wie hast du es trotzdem so schnell (und) so weit geschafft?

Ertan: Als Jugendlicher habe ich Fußball gespielt, saß aber meistens auf der Ersatzbank. Natürlich hatte ich damit auch Ziele gehabt, aber ich habe niemals davon geträumt, Profifußballer zu werden. Es ging eher um den Spaß. Ein Freund hat mich dann mal zum Kickboxen mitgenommen. Ich habe mich sofort in diese Sportart verliebt. Irgendwann wurde dieses Hobby zum Beruf und jetzt verdiene ich meine Brötchen damit.

Mit dem Boxen fängt man ja gewöhnlich mit sieben oder acht Jahren an. Die Schläge, die man auf Dauer abbekommt, schädigen jedoch den Körper. Beim Kickboxen kommen dann noch die Kicks dazu. Kicks haben doppelt so viel Schlagkraft wie eine Faust. Dementsprechend haben die Kämpfer auch einen schnelleren Gelenkverschleiß.

Was ich damit sagen möchte: Es hatte für mich körperliche Vorteile, später anzufangen. Ich habe mehr Gas gegeben, war jeden Tag im Gym. Manchmal habe ich sogar unter dem Ring gepennt und dann am Morgen darauf gewartet, bis die Leute endlich zum Training kommen. So habe ich es geschafft, andere zu überholen. Ich habe mir immer gesagt, dass ich es schaffen werde und darauf gezielt hingearbeitet.

Du hast den Spitznamen Lokomotive. Wieso?

Ertan: Das kommt von meinem Kampfstil. Ich marschiere immer nach vorn bei meinen Kämpfen. Gerade aus bis zum Ziel. (Lacht.)

Ich bin gläubiger Christ und weiß: Ich hatte immer Gott an meiner Seite.

Du hast als Kickboxer 23 unbesiegte Fights hinter dir und keine Niederlage. Was ist dein Geheimnis? Und wie bereitest du dich auf die Wettkämpfe vor?

Ertan: Ich bin gläubiger Christ und weiß: Ich hatte immer Gott an meiner Seite. 

Bevor ich mit dem Kampfsport angefangen habe, bat ich Gott bei meinen morgendlichen Gebetsspaziergängen immer darum, dass ich später einmal erfolgreich im Sport werde und dadurch auch einen bestimmten Bekanntheitsgrad erlange. Ich wollte viele Menschen erreichen können, um ihnen von Jesus zu erzählen. Und das wollte ich durch den Sport tun. Diese Gebete wurden tatsächlich erhört. Das ist mein Geheimnis.

Was die Wettkämpfe angeht: In der Vorbereitungszeit bin ich immer sehr angespannt und möchte nicht so viele Menschen um mich herum haben. Dann verbringe ich noch mehr intensive Zeit mit Gott als sonst. Er hat mir in meinem Leben wirklich sehr oft geholfen, besonders bei den Wettkämpfen. Ohne ihn wäre ich nicht einmal halb so weit gekommen.

Etwa drei Wochen vor einem Kampf isoliere ich mich völlig, um mich darauf vorzubereiten. Ich brauche eine Woche, um reinzukommen. Eine, um fit zu werden und die letzte, um kampfbereit zu sein. Aber natürlich trainiere ich auch außerhalb dieser drei Wochen jeden Tag.

Kickbox-Weltmeister Ertan Bicakci im Interview
Ertan B. nach einem Kampfsieg.

Wie schaffst du es trotz deiner Erfolge auf dem Boden zu bleiben?

Ertan: Gott hat mich dorthin gebracht, wo ich heute bin. Würde ich jetzt abheben, dann würde ich ja mein Versprechen vor Gott brechen, was ich ihm gemacht habe, als ich ihn um den Erfolg gebeten habe.

Außerdem passt Abheben nicht zu meinem Charakter. Ich wurde früher in der Schule gemobbt und sogar geschlagen. Das bedeutet aber nicht, dass ich heute auf die Straße gehe und andere verprügle, nur weil ich jetzt stärker bin. Ich kenne beide Rollen: die des Schwächeren und die des Stärkeren. Ich möchte mich nicht so verhalten, wie die Mobber sich mir gegenüber damals verhalten haben.

Wieso glaubst du eigentlich Jesus und nicht Mohammed, Buddha oder einen anderen Gott? 

Ertan: Mit dieser Frage werde ich als Türke ständig konfrontiert. Bei uns ist es üblich, Moslem zu sein. Da fragen mich natürlich viel Freunde – wieso und weshalb Jesus? Vor Jahren habe ich mich mit Freunden auch auf Diskussionen eingelassen, was ich mal lieber hätte sein lassen sollen. Ich habe da einen Freund, den ich vom Glauben überzeugen wollte. Und er wollte mich von seinem Glauben überzeugen. Und im Endeffekt haben die ganzen Diskussionen über den Glauben mit ihm überhaupt nichts gebracht. Für mich kam aber dabei immer heraus, dass Jesus der beste und einzige Weg ist. Und es hat mir gezeigt, wie schön Jesus als Gott und Mensch ist. Wenn man sich damit ein wenig befasst, ergibt der christliche Glaube viel mehr Sinn als alle anderen.

Und wenn man sich die Menschen anschaut, die an Jesus glauben – die haben eine ganz andere Erscheinung, Empathie und vor allem Ausstrahlung als viele Moslems, sage ich mal. Als Christ ist man wirklich ein besserer Mensch, weil man Jesus als Vorbild hat. Klar, wir können nicht so perfekt sein wie er, aber wir streben es an und gehen damit in eine gute Richtung. Schaut man sich andere Glaubensführer an, merkt man, dass sie anderen viel Leid gebracht haben. Das möchte ich mir nicht zum Vorbild nehmen. Jesus ist der einzig wahre Big Boss. (Lacht.)

Angst bringt uns dazu, dass wir härter schlagen, schneller laufen und besser sehen und hören können.

Kennst du eigentlich Angst vor einem Kampf?

Ertan: Ja, natürlich. Obwohl Mike Tyson der Beste in seiner Prime war, hat er vor seinen Kämpfen vor Angst sogar geweint. Angst bringt uns dazu, dass wir härter schlagen, schneller laufen und besser sehen und hören können. Das Adrenalin macht uns wacher und aufmerksamer. Man muss nur lernen, mit der Angst richtig umzugehen. Außerdem bete ich ja auch immer vorher.

Du sagst, du hast vor jedem Kampf Respekt und betest davor. Du meinst auch, dass deine Gebete dir helfen zu gewinnen. Würdest du anders in einen Kampf gehen, wenn du wüsstest, dass dein Gegner ebenfalls ein betender Christ ist?

Ertan: Vor einem Kampf bete ich solche Sachen wie: „Bitte Gott, lass mich diesen Kampf gewinnen. Lass mich den Gegner und mich selbst dabei nicht ernsthaft verletzen.“ Und bis jetzt hat es immer funktioniert. Natürlich kann es sein, dass ich irgendwann gegen jemanden antrete, der ebenfalls zu Jesus betet. In einem solchen Fall würde ich mit einem Unentschieden einverstanden sein. So können wir beide einigermaßen zufrieden sein. (Lacht.)

Als Kampfsportler findet man seine Verletzungen auch irgendwie cool.

Aber du wurdest doch sicherlich mal verletzt, oder? Was war deine schlimmste Verletzung? 

Ertan: Bei einem Wettkampf habe ich einmal gegen einen sehr kampferfahrenen Niederländer gekämpft. Zehn Sekunden vor Kampfende hat er mir einen High Kick gezogen. Dabei hat er mich mit dem Zehennagel am Auge gestrichen und ich konnte auf einmal nichts mehr sehen. Also habe ich mich an ihn geklammert, bis der Ringrichter uns auseinander brachte – das ist ja schließlich erlaubt. Die Zeit war inzwischen abgelaufen und ich hatte gewonnen. Es stellte sich heraus, dass er mein Augenlid aufgerissen und meinen Sehnerv getroffen hatte. Ich wurde sofort am Auge genäht. Jetzt geht es meinen Augen aber wieder gut.

Ich hatte auch schon einige Male meinen Kiefer gebrochen oder etwas geprellt. Zurzeit ist meine Nase gebrochen. Das ist jedoch im Training passiert. Ich verletzte mich viel öfter beim Training als im Kampf. Im Englischen sagt man: Train hard, fight easy. 

Und als Kampfsportler findet man seine Verletzungen auch irgendwie cool.

Kickbox-Weltmeister Ertan Bicakci im Interview
Ertan B. (rechts im Bild) beim Kampf.

Welche Rolle spielt die Anerkennung anderer für dich?

Ertan: Früher war mir Annerkennung sehr wichtig. Als Kind und Jugendlicher wollte ich immer stark werden, aber ohne andere zu unterdrücken. Ich wollte den Respekt meiner Mobber und es ihnen, aber auch mir selbst beweisen. Jetzt konzentriere ich mich mehr auf meine Schützlinge. Die Leute kommen zu meinem Training und merken, dass es gut ist. Dann braucht man das nicht mehr zu betonen.

Was ist dir als Trainer besonders wichtig beim Unterrichten?

Ertan: Ich vermittle meinen Schülern immer wieder, dass sie auf dem Boden bleiben sollen. Und wer bei mir Unterricht nimmt, um später mit seinem Können Leute zu verprügeln, der kann sich sofort wieder abmelden gehen.

Ich unterrichte viele Jugendliche und bei ihnen habe ich schon an mich den Anspruch sie „auf den richtigen Weg“ zu bringen. Sie sollen durch den Sport von der Straße weg. Und weg von der Gewalt gegenüber anderen, hin zur Selbstverteidigung.

Wir trainieren, um fit zu werden. Um Stress abzubauen und das eigene Selbstbewusstsein zu stärken. Und natürlich, um sich selber verteidigen zu können. 

Und ich habe tatsächlich auch zum Ziel, dass meine Jugendlichen besser und erfolgreicher werden als ich. Ich selber hatte Trainer, bei denen ich gespürt habe, dass sie nicht wollten, dass ich ihre Leistung überhole. Dabei ist es doch ein starkes Zeugnis für mich, wenn ich meine Schüler so weit bringe.

Deshalb bin ich bei meinen Wettkampfschülern sehr hart, besonders was die Disziplin angeht. Sie lernen bei mir auch was fürs Leben: In der Schule auch mal den Mund zu halten und stillzusitzen zum Beispiel. 

Einer meiner Trainer damals war noch viel härter zu mir. Er hat mich mit Stöcken verprügelt. Das war damals gut für meine Disziplin. Aber heutzutage würden sich die Leute wohl alle abmelden. (Lacht.)

Mach deine Hassübung so, als wäre sie deine Lieblingsübung.

Was würdest du einem jungen Kampfsportler auf seinem Weg zum Erfolg mitgeben?

Ertan: Ich kann dazu nur sagen, dass es nie zu spät ist anzufangen. Wenn man motiviert und gewillt ist und man es wirklich mit Leidenschaft macht, dann wird der Erfolg auch von allein kommen. Wichtig ist es, an sich selbst zu glauben. Und wenn man jetzt auch noch mit Gott geht, wird sich alles so einstellen, wie man es sich vorgestellt hat.

Trotzdem ist das alles aber nicht so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellt. Ich habe heute eine Nacht eine Nachricht von einem Schüler bekommen, der endlich kämpfen möchte. Aber: Es wird Tage geben, an denen er keinen Bock aufs Training haben wird. Dann muss er seinen inneren Schweinehund überwinden. Nur durch Disziplin und Ehrgeiz kommt der Erfolg. Ein Tipp von mir an alle: Mach deine Hassübung so, als wäre sie deine Lieblingsübung. 

Kickbox-Weltmeister Ertan Bicakci im Interview

Wenn du kein Profi-Boxer geworden wärst, dann wärst du heute sicherlich …?

Ertan: Ich habe eine Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik und als Groß- und Außenhandelskaufmann abgeschlossen. Danach habe ich sechs Jahre als kaufmännischer Mitarbeiter im Großhandel gearbeitet. Zeitgleich habe ich mit dem Kampfsport angefangen, ohne natürlich zu wissen, dass ich einmal Profi werde. Hätte ich als Kampfsportler keinen Erfolg gehabt, wäre ich wahrscheinlich kaufmännischer Mitarbeiter geblieben.

Wenn du wüsstest, dass du bald sterben musst, wie würdest du die letzten Wochen deines Lebens verbringen?

Ertan: Vor paar Jahren hätte ich diese Frage wahrscheinlich mit weltlichen Dingen beantwortet: Urlaub, Spaß etc. Aber heute weiß ich: Ich würde zu Gott beten und noch die letzten Dinge mit ihm ins Reine bringen. Angst hätte ich vor dem Tod keine. Ich weiß ja schließlich, wo es für mich hingeht …

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Die O’Bros im Interview

Egal ob auf Konzerten, Festivals oder Jugendgottesdiensten: Die O’Bros heizen immer maximal ein und stellen dennoch Gott in den Mittelpunkt. Die christlichen Hip-Hop-Künstler Alex und Maxi sprechen über ihre größten Leidenschaften: Glaube und Musik. Dieses Interview ist zuerst in der Jugendzeitschrift PUR erschienen.

Die O’Bros: Alex (links) und Maxi (rechts).

Hi ihr beiden! Wie hat das bei euch mit der Musik angefangen? Und seid ihr eigentlich „Fulltime-Rapper“?

Maxi: Wir machen Musik, seitdem wir sechs und sieben Jahre alt sind. Als Kinder und Jugendliche waren wir in vielen Bands und haben auch in der Gemeinde viel Musik gemacht. Mit dem Rappen angefangen haben wir mit zwölf. Wenn wir Lieder geschrieben haben, dann auch mit christlichem Hintergrund. Es waren Lieder über unseren Glauben und was wir mit Gott erleben.

Alex: Als Kind habe ich Schlagzeug gespielt und Maxi Klavier. Unser Vater leitete früher eine Kinder-Lobpreis-Band in der Gemeinde, in der wir immer fleißig am Start waren. In unserer Jugend haben wir in Rock- und Jazzbands gespielt, mit Chören und Orchestern. Aber Rap ist eben das, was uns am meisten Spaß macht. Wir sind keine Fulltime-Rapper, sondern haben Rap immer neben der Schule gemacht und jetzt neben dem Studium. Ich studiere BWL und Maxi Zahnmedizin.

Studium und Rap-Karriere – das hört sich ziemlich stressig an. 

Alex: Stressig ist nur das, was einen stressen lässt. Es ist immer eine Entscheidung, wovon ich mich stressen lasse und wovon nicht. Alles andere ist eine Prioritätensetzung. Mir hat Gott gezeigt, dass alles einen richtigen Zeitpunkt hat. Es gibt Phasen, in denen ich mich auf mein Studium konzentriere, und Phasen, in denen ich mich auf die O’Bros konzentriere. Manchmal geht beides gut nebeneinander her.

Wen möchtet ihr mit eurer Musik erreichen?

Maxi: Vor allem junge Menschen, in unserem Alter und jünger. Aber unsere Zielgruppe sind nicht nur Teenager, sondern auch ganz klar junge Erwachsene. Und vor allem Christen, denn unsere Vision war von vorneherein, Christen zu ermutigen, sich noch mehr auf Gott einzulassen und ihm zu vertrauen.

Ihr habt mal gesagt: „Wenn wir keine Christen wären, würden wir trotzdem noch rappen.“ Wie würde eure Musik dann klingen? Welchen Inhalt hätten eure Texte?

Maxi: Ich glaube, wir würden über das rappen, was uns am meisten bewegt. Wenn wir Jesus nicht kennen würden, wären das Themen wie Beziehungsstruggles und andere private Dinge. Doch Jesus prägt unsere Sicht auf die Welt und uns selbst. Weil er für uns ans Kreuz gegangen ist, geht es in unseren Texten um ihn. Die Musik selbst würde wahrscheinlich nicht anders klingen.

Die Brüder heizen dem Publikum ein.

Wieso glaubt ihr eigentlich an Jesus?

Alex: Ich finde, das Attraktive an Jesus ist, wie er mit Menschen umgegangen ist: Er hat die Verstoßenen aufgesucht, sie geheilt und ihnen gezeigt, dass sie wertvoll sind. Er hat nicht einfach eine neue Religion gebracht, sondern ist interessiert an einer Herz-zu-Herz-Beziehung mit uns Menschen. Deshalb liebe ich Jesus!

Habt ihr eine Lieblingsbibelstelle?

Alex: Bei mir gibt es immer Phasen, in denen ich bestimmte Bibelstellen mehr feiern kann als andere. Im Moment gefällt mir Micha 7,7 besonders gut.

Maxi: Wir sind christlich aufgewachsen und damit auch mit dem Bibellesen.

Heute ist das Bibellesen ein wesentlicher Bestandteil unseres täglichen Alltags. Doch leider habe ich tatsächlich jahrelang diese Zeit vernachlässigt und hatte deshalb ein schlechtes Gewissen. Inzwischen habe ich diesen Schatz wiederentdeckt. Ich nehme mir jeden Tag Zeit, Jesus in mein Leben sprechen zu lassen. Ich will ihn nicht nur damit volltexten, was mich interessiert. 

Wie geht ihr denn mit Zweifeln um?

Maxi: Zweifeln gehört zum Glauben in gewisser Weise dazu. Zweifel trennen häufig Falsches vom Wahren. An manchen Punkten habe ich an Gott gezweifelt, aber nie an seiner Existenz. Dafür habe ich viel zu viel mit ihm erlebt. Dass ich in diesen Zeiten, in denen ich ihn nicht gespürt habe, trotzdem an ihm drangeblieben bin, das waren die besten Entscheidungen meines Lebens.

Alex: Ich nenne meine Zweifel immer beim Namen. Wenn ich merke, dass ich etwas nicht glauben kann, was in der Bibel steht oder was Gott mir versprochen hat, sage ich das zuerst einmal Gott. Ich frage ihn, was er dazu sagt, und ich schütte ihm mein Herz aus – dabei bin ich zu 100 Prozent ehrlich – und ich bitte ihn, mein Herz zu verändern. Ich möchte Gottes Wahrheit in meinem Herzen haben. Empfehlenswert ist es auch, mit seinen Zweifeln zu guten, gläubigen Freunden zu gehen.

Auf welche Frage(n) sucht ihr immer noch nach einer Antwort?

Maxi: Wie ist das mit der Heilung? Die Bibel sagt, dass wir durch Jesus’ Wunden geheilt sind. Aber wenn ich krank bin und keine Heilung erlebe – heißt das dann, dass ich nicht richtig glaube? Ich bitte Gott oft darum, mir da seine Wahrheit zu zeigen.

Alex: Ich frage mich: Wie ist auf dieser Welt das Mächteverhältnis? Wem gehört die Welt: Gott oder dem Feind? Gott ist allmächtig und der Herrscher der Welt – aber wenn ich mich mit der geistlichen Welt und Dämonen beschäftige, frage ich mich, wer hier das Sagen hat …

Was ist euer Lebensmotto?

Maxi: Haben Leute heutzutage noch ein Lebensmotto? Also in der Bio meines privaten Instagram-Accounts steht: ‚If what I treasure the most, can never be taken away from me, than what do I have to fear?‘

Alex: Ich habe auch kein Lebensmotto, aber in meinem WhatsApp-Status steht: ‚The sky is not the limit!‘

Wieder zurück zur Musik: Wie entsteht eigentlich ein Song bei euch?

Maxi: Zuerst brauchen wir eine Inspiration, eine Idee. Das kann ein Thema sein, das uns beschäftigt, eine Offenbarung, die Gott uns gegeben hat, ein Song, den wir kennen, oder musikalische Elemente daraus. Dann setzen wir uns an den Beat. Ich schreibe meistens zuerst die melodischen Parts und anschließend kommen die Drums darauf. Alex macht das eher andersherum. Danach schreiben wir darauf einen Text.

Alex: Wir haben eine App auf unseren Smartphones, wo wir unsere Textideen aufschreiben, die mitten im Alltag kommen, in der U-Bahn, beim Einschlafen. Es ist wichtig solche ‚Fetzen‘ sofort aufzuschreiben, um sie nicht zu vergessen. Die verwenden wir bei unseren Texten. Das Gleiche gilt für die Melodien.

Die O’Bros schreiben ihre Songs alle selber.

Was würdet ihr jemandem raten, der beruflich Musik für und über Gott machen möchte?

Maxi: Frag Gott, ob er das überhaupt von dir möchte. Und frag dich: „Wofür brenne ich? Was würde ich stundenlang machen, ohne Geld dafür zu kriegen? Worin bin ich eigentlich besser als andere?“ Wenn du diesen Punkt gefunden hast, gibt es zwei Säulen: deine Skills und deinen Charakter. Übe das, was du gut kannst, und werde darin noch besser. Schau auch, welche Charakter-Defizite du hast und vertraue sie Jesus an. Denn die Wurzel jedes Dienstes liegt nicht in deinen Skills, sondern in deinem Charakter. 

Mit welchen Stars würdet ihr gerne mal zusammenarbeiten?

Alex: Ich würde gerne mal ein Konzert spielen mit Rap-Künstlern, die gar nicht in der christlichen Szene unterwegs sind.

Maxi: Auf Sido hätte ich richtig Bock.

Alex: Oder Seeed! Eine Ehre wäre auch Xavier Naidoo. Davon haben wir schon als Kids geträumt. Er ist schon immer ein musikalisches Vorbild für uns gewesen. Das letzte Album haben wir sogar in Mannheim im Studio von Xavier Naidoo aufgenommen. 

Hättet ihr mit der Musik auch ohne Erfolg weitergemacht?

Alex: Ja, aber nicht in dem Rahmen. Also nicht so viel auf der Bühne.

Maxi: Ich würde wahrscheinlich auch Musik machen, wenn die O’Bros nicht so groß geworden wären. Dann hinge nicht so viel Orga dran und ich hätte mehr Zeit für die Musik an sich. 

Alex: Also, ich würde immer Musik machen, aber ich hätte meinen Fokus wahrscheinlich woanders hingelegt, wenn es nicht geklappt hätte.

Ihr habt auch schon heftige Shitstorms erleben müssen. Was hat euch geholfen, damit umzugehen?

Alex: Schon in der Bibel steht, wer sich zu Jesus bekennt, wird von dieser Welt gehasst werden. Selbst auf Jesus trifft das zu; er wurde sogar umgebracht. Wenn Christen Stellung für Jesus beziehen, bekommen sie heftigen Gegenwind a. k. a. Shitstorm. Es gab bei uns eine Zeit, in der wir im Internet total fertiggemacht worden sind und das hat uns sehr verletzt. Wir haben damals mehr als sonst Jesus’ Nähe gesucht – das hat uns sehr geholfen. Wir haben ihn gefragt, was er über die Hater denkt. Es ist krass: Er sieht zwar unseren Schmerz, aber er sagt nur wunderbare Sachen über diese Menschen. Er liebt sie so sehr wie uns! Er ist für diese Menschen gestorben. Diese Sicht hat uns einen riesigen und unerklärbaren inneren Frieden geschenkt. 

Wir konnten viele Dinge lernen, auch etwas über den Selbstwert. Wenn ein Shitstorm über dich kommt, ist die Frage: Wovon machst du deinen Wert abhängig – von der Meinung anderer, der Anzahl deiner Likes, deinem Aussehen? Wer seinen Selbstwert von anderen Menschen abhängig macht, wird stolz bei gutem Feedback und depressiv bei schlechtem. Das Beste ist, dass du deinen Wert von Jesus abhängig machst! Maxi hat mal gesagt: ‚Die Anerkennung oder Missachtung von tausenden Menschen ist lächerlich klein im Vergleich zu der Anerkennung, die mein Vater im Himmel für mich hat.‘

Ich habe gemerkt, dass der schlimmste Shitstorm auf der Welt mir nicht das nehmen kann, was mir wirklich wichtig sind: Gott, meine Berufung, meine Identität in Jesus, meinen Charakter, meine Familie und meine engen Freunde.

Während der Pandemie durften lange keine größeren Konzerte stattfinden. Wie habt ihr diese Zeit erlebt? Und worauf freut ihr euch am meisten, wenn „normale“ Konzerte wieder möglich sind?

Maxi: Für uns war die Zeit eine große Umstellung. Unsere riesige Deutschland-Schweiz-Tour und fast alle Konzerte mussten abgeblasen werden. Wir haben gelernt, wie nichtig unsere menschlichen Pläne sind, und wie wichtig es ist, nach Gottes Plänen zu leben. Trotzdem geht uns die Pandemie langsam auf den Sack. Wir haben richtig Bock, wieder auf der Bühne zu stehen.

Alex: Neulich sind wir vor nur 15 Leuten aufgetreten, statt wie sonst vor 15.000. Aber es war für uns voll cool, weil Gott uns damit gezeigt hat, was wirklich wichtig ist: Es sind nicht die Massen, sondern die einzelnen Personen. Diese Konzerte vor wenigen Leuten waren mega erfüllt mit dem Heiligen Geist.

Die beiden Rapper vermissen die Bühne und ihre Fans.

Was macht die Fans der O’Bros zu den besten Fans der Welt?

Maxi: Ohne unsere Fans wären wir überhaupt nicht da, wo wir sind. Unser erstes Album ist durch Crowdfunding entstanden. Rein finanziell hätten wir es niemals geschafft, die O’Bros alleine aufzubauen.

Alex: Wir lieben an unserer Community, dass sie so jesuszentriert ist. Es geht hier nicht um Maxi und mich, sondern darum, dass wir als eine Familie Jesus großmachen. Deshalb ist unsere Community geiler als die Community von anderen.

Was wünscht ihr euch, dass eure Hörer über euch wüssten?

Maxi: Unsere Hörer sollen verstehen, wer Jesus für uns ist, und dass wir ganz normale Menschen sind, wie unsere Hörer. Sie sollen verstehen, dass alles, was wir mit Jesus erleben, auch sie mit ihm erleben können.

Vielen Dank für das Interview liebe O’Bros!

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Kiffen vs. Glaube

Im Interview mit Scott W.

Das Interview mit Scott über seine Drogensucht, das Kiffen, habe ich ursprünglich für die Zeitschrift Dran geführt. Mit freundlicher Genehmigung von beiden Parteien veröffentliche ich nun das Ergebnis auch hier.

Mit 15 raucht Scott seinen ersten Joint. Jahrelang bestimmen die Drogen seinen Alltag, bis er erkennt, dass die vermeintliche Freiheit sein Gefängnis ist.

Scott, wie bist du das erste Mal mit Drogen in Berührung gekommen?

Wir haben uns in der Gemeinde ein Fußballspiel angeschaut. In der Halbzeit sind ein paar Jugendliche zum Kiffen woandershin gegangen. Ich habe einfach mitgemacht und mir nicht viel dabei gedacht. Körperlich habe ich nicht viel gemerkt. Es war nur komisch, danach wieder ins Gemeindehaus zurückzugehen. Erst beim nächsten Joint hatte es richtige Auswirkungen: Es hat sich gut angefühlt und war auch witzig.

Warst du zu diesem Zeitpunkt schon gläubig?

Kinderkirche, Jugendarbeit – ich bin mit dem Glauben aufgewachsen. Gleichzeitig haben mich die Dinge der Welt immer angezogen. Ich wusste, dass das Kiffen nicht zum Glauben passt, habe aber trotzdem weiter gemacht.

Wie hat sich das Kiffen auf deinen Alltag ausgewirkt?

Ich war süchtig. Das hat sich darin gezeigt, dass ich ein Doppelleben geführt habe. Ich bin weiterhin brav zur Gemeinde und in den Jugendkreis gegangen, gleichzeitig habe ich meine Eltern ständig belogen. Ich kam immer erst spät nach Hause, damit ich ihnen abends nicht bekifft begegnen musste. Mir hat alles andere kaum noch Spaß gemacht. Es hat mich einfach nichts mehr interessiert. „Wann kann ich endlich wieder kiffen?“, war so ziemlich der einzige Gedanke, den ich damals hatte.

Haben deine Eltern, Geschwister oder Freude mal interveniert?

Gott hat immer interveniert, sonst eigentlich niemand. Meine Eltern und älteren Geschwister haben kaum bis nichts davon mitbekommen. Meine Freunde wussten es schon, vor allem die im Jugendkreis. Dadurch, dass ich immer mehr gekifft habe, bin ich aber immer seltener in die Gemeinde gegangen. In dieser Zeit hat Gott anders zu mir gesprochen. Einmal habe ich mir eine Folge der Serie „Scrubs” angeschaut. Darin sind einige Menschen gestorben. Es war so, als ob Gott zu mir gesagt hätte: „So lebst du gerade. Du bist eigentlich tot – geistlich gesehen”. Daraufhin habe ich mit dem Kiffen aufgehört, mich von dem Freundeskreis getrennt und bin wieder in den Jugendkreis gegangen. Das war richtig cool eine Zeit lang. Aber irgendwie habe ich dort nicht das bekommen, was ich wollte. Am Anfang brannte ich für Jesus, später nahm dieses Feuer wieder ab und ich suchte nach etwas anderem. Und so kam ich in einen Teufelskreis: Jedes Mal, wenn ich erneut mit dem Kiffen angefangen habe, ging es ein Stück schneller bergab mit mir.

Welche Gedanken kamen dir, als du dann mit den Drogen aufhören wolltest?

Ich weiß noch, dass ich schon lange damit aufhören wollte. Gleichzeitig war die Vorfreude aufs Kiffen aber immer so immens. Als ich dann wieder high war, habe ich gemerkt, dass es sich doch nicht so gut anfühlt. Und es mir überhaupt nicht guttut. Dann wollte ich wieder aufhören. Letztes Jahr war ich sehr enttäuscht von mir selbst. Ich bekam das Leben mit Jesus überhaupt nicht auf die Reihe. Dann passierte was Krasses – es war so als ob der Teufel zu mir sagen würde: „Du bist lauwarm. Gott gefällt das gar nicht. Er wird dich ausspucken! Ich mache dir ein Angebot: Lass deinen kleinen Glauben an Jesus einfach los, dann kannst du dein Leben weiter so leben, wie du es sowieso schon tust. Aber du kannst es viel mehr genießen. Mit Geld, Frauen und Fame.” Das waren nicht meine eigenen Gedanken. Ich wusste, dass es nichts nützt, wenn man die ganze Welt gewinnt, aber dabei seine Seele verliert. Gleichzeitig wollte ich mein Leben aber auch nicht von Grund auf ändern.

Wie hast du dann mit den Drogen aufgehört?

Ich hatte bestimmt ein halbes Jahr lang nicht mehr in der Bibel gelesen oder gebetet. Es hat mich immer etwas davon abgehalten. Irgendwann habe ich mich einem Kumpel anvertraut und er hat eine kleine Gebetsgruppe für mich gestartet. So begann meine Befreiung. Ein paar Wochen später habe ich es auch meiner Familie erzählt, die dann ebenfalls für mich gebetet hat. Danach habe ich mich befreit gefühlt und wieder intensiv nach Gott gesucht. Doch das hat schnell wieder nachgelassen, weil Gott mir nicht geantwortet hat. Ich dachte damals: Ich habe für ihn die Drogen aufgegeben, aber er lässt sich nicht von mir finden? Dann kann ich auch Kiffen und bin wenigstens für zwei oder drei Stunden gut drauf. Danach kann ich Gott ja wieder um Vergebung bitten. Daraufhin folgte ein richtiger Horrortrip. Inmitten dieses Trips hat Gott mir gesagt, dass er nicht will, dass ich irgendwelche Sachen für ihn aufgebe, sondern dass ich aufgebe, für mich selbst zu leben. Am nächsten Tag habe ich den Lobpreissong „To be near you“ angehört: „God you know, my heart is divided. And my lips have worshiped many idols.” Das hat mich total getroffen. Ich hatte immer Angst etwas aufzugeben, weil ich dachte, dass dann nichts mehr von mir übrigbleibt. Aber weil Gott trotz seiner Größe für mich gestorben ist, entschied ich mich schließlich doch dafür. Es war dann so, als hätte ich ein neues Herz bekommen. Ich habe geweint. Das erste Mal wieder, seit ich ein Kind war.

Wie hast du dir ein hingegebenes Leben als Christ denn vorgestellt?

Früher dachte ich, dass ich frei bin, wenn ich ohne Gott lebe. Ich könnte tun, was ich möchte. Aber in Wirklichkeit ist man nicht frei, sondern Sklave der Sünde und fühlt sich dazu gezwungen, bestimmte Dinge zu tun. Ich glaubte, dass ich als Christ meine Freiheit verlieren würde, weil ich diese ganzen Regeln einhalten müsste. In Realität sind die Regeln aber genau dafür da Freiheit zu geben. Nicht weil ich gezwungen bin sie einzuhalten, sondern weil ich weiß, dass es das Beste für mich ist.

Führst du immer noch einen Kampf gegen die Drogen?

Mittlerweile denke ich gar nicht mehr daran, obwohl ich ständig von Leuten umgeben bin, die kiffen.

Welchen Ratschlag würdest du Menschen geben, die mit den Drogen aufhören wollen?

Gebet! Erzählt anderen davon und bringt eure Probleme ans Licht. In christlichen Kreisen schämt man sich oft dafür, aber im Licht verliert das Dunkel seine Macht. Wenn man Leute hat, die für einen beten, dann kann es richtig krasse Befreiung geben. Genauso wichtig ist es aber, dass man sich nach der Befreiung mit etwas anderem füllt: mit Jesus. Ansonsten kann es sein, dass man einen heftigen Rückfall hat.

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Interviews

Missbrauch: der Kampf danach

Interview mit Rachel

Ursprünglich habe ich dieses Interview mit Rachel über ihren Missbrauch und das Danach für die Zeitschrift Klartext geführt. Mit freundlicher Genehmigung von beiden Parteien veröffentliche ich nun das Ergebnis in seiner längeren Version auch hier.

Ich betone ausdrücklich, dass dieser Beitrag aufgrund seiner expliziten Beschreibungen nicht für Kinder und Jugendliche geeignet ist. Für alle Betroffenen sexualisierter Gewalt gilt eine Triggerwarnung.

Missbrauch: der Kampf danach – das Interview
Rachel: eine Überlebende sexuellen Missbrauchs

Rachel, du wurdest als Kind mehrfach sexuell missbraucht. Welche Erinnerungen hast du, von denen du uns erzählen möchtest?

Rachel: Der Missbrauch geschah an den Wochenendbesuchen bei meinem Vater. Es gab dort einen Mann, der mich missbraucht hat. Ich weiß aber nicht, wer er war. Er hat mich, meine Stiefschwester und einen Hund für den Missbrauch benutzt. Ich erinnere mich daran, wie jemand auf meinem Gesicht sitzt und ich keine Luft bekomme. Ich erinnere mich an den Geschmack von Urin und an Hände, die mich gegen den Boden drückten, während jemand anderes sich sexuell an mir verging. Sie haben Erdnussbutter über unsere Körper gestrichen. Wenn der Hund nicht das getan hat, was er tun sollte, haben sie ihn solange gefoltert, bis er geblutet hat. Bis zu meinem 13. Lebensjahr habe ich dann selbst Tiere gequält und gefoltert.

Ich erinnere mich an den Geschmack von Urin und an Hände, die mich gegen den Boden drückten, während jemand anderes sich sexuell an mir verging.

Rachel über ihren Missbrauch

Wenn man in einer Großstadt spazieren geht und es regnet, dann steigt immer so ein Geruch von Hundeurin auf. Den kann ich bis heute nicht ertragen. Da bekomme ich Flashbacks. Dasselbe passiert bei einer feuchten Hundezunge an meiner Haut, wenn ich einen Hund jaulen höre oder wenn ich Blut rieche. Früher konnte ich mich nicht einmal zusammen mit einem Hund in einem Raum aufhalten. Doch nach einer speziellen Therapie geht das wieder. Ich bin zwar immer noch kein Hundefreund, doch hassen tue ich Hunde jetzt auch nicht mehr.

Missbrauch: der Kampf danach  – ein Interview
Rachel leidet an Flashback

Das “Interessante” an meinen Erinnerungen ist, dass ich zuerst gar keine hatte. Ich erinnere mich auch jetzt nicht einmal an Geburtstage, Weihnachtsfeiern, einfach an gar nichts, was vor meinem 8. Lebensjahr stattgefunden hat. Das liegt an der dissoziative Amnesie, an der ich leide. Mein Gehirn verschließt die traumatischen Erlebnisse meiner Kindheit vor mir – zu meinem eigenen Schutz. Es ist so, als ob ich vor meinem 8. Lebensjahr gar nicht existiert hätte. Die meisten bruchstückhaften Erinnerungen kamen erst in meinen frühen 20ern wieder. Manche kamen von allein, andere wurden durch bestimmte Trigger wie Gerüche, Geschmacksrichtungen oder Geräusche ausgelöst. Die erste nicht verdrängte Erfahrung, die ich hatte, war mein Selbstmordversuch mit 8 Jahren.

Was gibt dir den Mut dazu, mit deiner Erfahrung an die Öffentlichkeit zu gehen? Und was ist deine Motivation dabei?

Rachel: Auch ich hätte vor 10 Jahren noch nicht öffentlich über meinen Missbrauch sprechen können. Ich musste erst daran arbeiten, an mir arbeiten und bin auch heute noch nicht komplett gesund. Aber ich kann jetzt zumindest darüber sprechen, was mir passiert ist. Obwohl: Es gibt sie immer noch Dinge, die so schlimm für mich sind, dass ich noch nicht über sie sprechen kann. Damals hätte ich mir aber jemanden gewünscht, der so etwas selbst erlebt hat und mir Mut zum Weitermachen gegeben hätte. Jemanden, der meinen Schmerz verstanden hätte. So jemand möchte ich jetzt für andere sein.

Wieso hast du deinen Eltern damals nicht von dem Missbrauch erzählt?

Rachel: Gerade, weil mir die Erinnerungen an diese Zeit fehlen, kann ich nicht genau sagen, weshalb ich damals nichts erzählt habe. Ich vermute, dass es an der schwierigen Beziehung zu meiner Mutter gelegen hat. Ich hatte kein richtiges Vertrauen zu ihr. Jahre nach dem Missbrauch fand ich heraus, dass ich sie immer angefleht habe, nicht zu meinem Vater gehen zu müssen. Sie dachte aber, dass ich einfach meine Stiefmutter nicht mögen würde oder so und hat mich deshalb trotzdem hingefahren. Meine Mutter musste damals selbst viel Traumatisches durchmachen. Ich glaube nicht, dass sie in der Lage gewesen ist, zu verstehen, was da mit mir passierte.

Bereits in der dritten Klasse hatte ich Sex mit meinen Freunden, dachte aber, dass das ganz normal sei. Ich wusste nicht, dass es da etwas zu erzählen gibt. Deshalb konnten meine Eltern auch nicht reagieren.

Es gab aber andere Signale dafür, dass etwas nicht mit mir stimmte. So habe ich mir zum Beispiel meine Haare büschelweise vor dem Spiegel ausgerissen und dann gegessen. In der zweiten Klasse habe ich unangemessene Bilder gemalt, woraufhin mein Lehrer das Jugendamt informiert hat. Meine Mutter gab mich deshalb später in Behandlung. Das rechne ich ihr positiv an.

Missbrauch: der Kampf danach  – ein Interview
Rachel hatte bereits in der dritten Klasse Sex mit ihren Freunden

In dieser schrecklichen Zeit, sagt du, bist du Gott zum ersten Mal begegnet. Wie sah diese Begegnung aus?

Rachel: Als ich neun Jahre alt war, bekam meine Mutter einen Anruf von einem Bekannten, der unbedingt vorbeikommen und für meinen Schutz beten wollte. Das tat er dann auch. In der darauffolgenden Nacht wachte ich plötzlich auf, weil ich seltsame Geräusche gehört habe. Von meinem Türrahmen aus konnte ich direkt in das Schlafzimmer meiner Mutter sehen: Ein nackter Mann lag auf ihr! Er bemerkte mich erst nach einer Weile. Als er sich zu mir umgedreht hat, schaute er so, als ob er über mir ein Gespenst gesehen hätte. Dann rannte er vollkommen verängstigt und nackt aus dem Haus raus.

Später erzählte mir meine Mutter, dass der Einbrecher sie schon eine Weile lang gestalkt habe und einiges über uns und ihren Tagesablauf gewusst habe. Als sie aufgewacht sei, habe der Mann bereits nackt auf ihr gelegen und ihr damit gedroht, ihre Kinder zu töten, wenn sie nicht leise sei. Ihr einziger Gedanke sei gewesen, Gott um Hilfe zu bitten. Als ich dann im Türrahmen stand, habe meine Mutter über mir ein sehr helles Licht gesehen. Vor diesem Licht muss der Mann wohl weggerannt sein …

Von da an wusste ich, dass es etwas Größeres gibt. Ich wusste zwar noch nicht, was oder wer das war, und hatte auch keine Lust, damit in Kontakt zu treten, wusste aber, dass es uns beschützt hatte. Heute bin ich mir sicher: Gott hatte einen Engel geschickt. Gott zeigte mir damals, dass es ihn gibt. Danach ist es mir nie wieder gelungen, an Gottes Existenz zu zweifeln – wie sehr ich es auch versucht habe.

Heute bin ich mir sicher: Gott hatte einen Engel geschickt. Gott zeigte mir damals, dass es ihn gibt.

Rachel über ihre erste Gotteserfahrung
Missbrauch: der Kampf danach  – ein Interview
Rachel macht mit neun Jahren ihre erste Gotteserfahrung

Sexueller Missbrauch, Kriminalität, Armut, Scheidung deiner Eltern und der Tod deines Vaters, als du erst zehn Jahre alt warst: Wie hat das alles deine Entwicklung als Kind geprägt?

Rachel: Da ich weder eigene Erinnerungen an unser Zusammenleben als Familie noch an die Trennung meiner Eltern oder an meinen Missbrauch habe, ist das schwer zu sagen. Auf jeden Fall aber negativ! Von der Kriminalität in meiner eigenen Familie erfuhr ich erst sehr spät – genauso auch von dem Missbrauch meiner Mutter durch meinen Vater.

Meine Mutter hat geglaubt, ich hätte ihren Missbrauch und den meines Bruders mitbekommen und mich deshalb so auffällig verhalten. Sie hat daraus nicht den Rückschluss ziehen können, dass ich selbst missbraucht worden bin.

Als ich herausgefunden habe, was mein Vater meiner Mutter angetan hatte, begann ich, ihn dafür zu hassen. Ich habe ihn auch dafür gehasst, dass er nach der Scheidung meinen geliebten Bruder, der auch mein bester Freund war, entführte. Als mein Vater dann gestorben war, hatte ich meinen Bruder endlich wieder zurück!

Was den Tod meines Vaters angeht, fühlte ich eine seltsame Mischung aus Anteilslosigkeit und Freude. Dadurch, dass ich selbst auch kriminell wurde, konnte ich aber später eine Art „Verbindung“ zu ihm aufbauen. Ich wusste, dass ich das Lügen, Stehlen und Manipulieren von meinem Vater “geerbt” hatte – darauf war ich irgendwie stolz.

Stolz war ich auch auf die Verbindung meiner Großeltern väterlicherseits zu den Hells Angels. Ich stand bis zu meinem 18. Lebensjahr unter ihrem Schutz. Wollte ich zum Beispiel, dass sie jemandem das Knie brachen, haben sie das einfach gemacht. Ich habe diese Macht geliebt, die ich durch die Hells Angels hatte.

Du hattest auch erzählt, dass du zuerst Tiere gequält hast. Mit 13 Jahren hast du damit aufgehört und dir dann Menschen als Ziel gesetzt.

Rachel: Ich habe viele schlimme Dinge getan, ohne dabei jegliche Art von Schuld zu empfinden. Schaut man sich mein Verhalten an, erkennt man, dass das klassische Symptome einer dissozialen Persönlichkeitsstörung sind. Eine weitere psychische Krankheit, mit der ich später diagnostiziert worden bin. Zu ihr gehört häufig auch Tierquälerei, die dann irgendwann in Gewalt gegenüber Menschen übergeht.

In der siebten Klasse habe ich mir eine Liste angelegt mit Namen aller Mitschüler, die ich umbringen wollte. Dazu gab es jeweils eine Beschreibung, wie ich das genau machen wollte. Ich bin auf eine sehr gefährliche Schule in den Vereinigten Staaten gegangen und wurde häufig vom Mitschülern bedroht. Auf dieser Schule konnte ich mir sicher sein: Die meinen es ernst mit ihrer Drohung.

Du hast dann tatsächlich versucht, zwei Mitschüler zu töten. Möchtest du davon erzählen?

Rachel: Meine beiden Mordversuche standen nicht auf meiner Liste. Die erste Person, die ich töten wollte, war mein damaliger Freund. Ich hatte keine Lust mehr auf ihn gehabt, wollte aber die Konfrontation verhindern, die mit dem Schluss machen einhergeht. Deshalb habe ich gedacht, dass es besser sei, wenn er einfach nicht mehr da wäre und habe ihn dann versucht zu vergiften. Dafür habe ich einfach alle Medikamente aus meiner Hausapotheke zusammengemischt und in seine Milchschokolade getan. Er ist nicht gestorben, musste deshalb aber ins Krankenhaus. Bis heute weiß er nicht, dass ich das war.

Den zweiten Vorfall kann ich selbst nicht wirklich erklären: Auf einer Geburtstagsfeier saß ich mit meinem damaligen Schwarm in meinem Zimmer auf meinem Bett. Wir haben einfach nur geredet. Alles war vollkommen in Ordnung und er hat nichts Falsches getan; hat mich immer gut behandelt. In diesem Moment hat er mich einfach nur angeschaut und dann ist etwas sehr Seltsames mit mir passiert: Eine eindringliche Stimme in meinem Kopf hat mir “befohlen”, ihn sofort zu töten. Ich nahm also ein Messer und habe ihn damit schreiend durch die Nachbarschaft gejagt. Meine beste Freundin hat mich dann unter Einsatz ihres Lebens zu Boden drücken können. Davon hat sie Narben an ihrem Körper behalten. Etwas später kam dann meine Mutter nach Hause und hat den Irrsinn beendet. Zu meinem Glück hat niemand die Polizei gerufen. In unserer Nachbarschaft hat man solche Dinge selbst geklärt.

Beide Vorfälle sind in der achten Klasse passiert. Der zweite Mordversuch hat mich in der Schule berühmt gemacht und dafür gesorgt, dass ich zweimal in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen worden bin.

Missbrauch: der Kampf danach  – ein Interview
Rachels beide Mordversuche misslingen – Gott sei Dank!

In der 9. Klasse hattest du Kontakt zu einer Klassenkameradin, die Prostituierte bei einem Essort-Service war. Sie wollte auch dir die „Möglichkeit“ geben, dich zu prostituieren. Du warst interessiert. Wieso kam trotzdem nie etwas zustande?

Rachel: Ich war bereits bei einem Escort-Service angemeldet. Und weil ich ja noch minderjährig war, hatte ich dafür meine Ausweise gefälscht. Ich habe auch schon bestimmte Sexpraktiken geübt, die man als Prostituierte braucht – ältere Männer haben beim Sex andere Ansprüche als Jungs in meinem damaligen Alter. Aber jedes Mal, wenn ich einen Termin mit einem Kunden ausgemacht hatte, ist etwas dazwischengekommen: Entweder bin ich oder der Freier krank geworden. Oder es stimmte etwas nicht mit dem Auto, was ich mir dafür extra ausleihen musste.

Irgendwann habe ich es dann einfach aufgegeben. Meiner damaligen Agentur habe ich damals erzählt, dass es bei mir im Moment nicht klappe; ich es aber noch mal versuchen wolle, wenn ich ein eigenes Auto habe. Aber dann wurde ich Christ und meine Pläne haben sich total geändert – na ja, zumindest nach etwa einem Jahr als Gläubige. Bis dahin hatte ich noch alle Dokumente, um als Prostituierte arbeiten zu können. Das war sozusagen mein Plan B, wenn sich das mit dem Christsein als falsch für mich herausgestellt hätte. Hat es dann aber nicht.

Wie bist du zum christlichen Glauben gekommen? Und welche Veränderungen konntest du in deinem Leben dann feststellen?

Rachel: In der 12. Klasse hat mich eine Freundin zu einem Universitäts-Gottesdienst eingeladen. Ich ging da wegen der älteren Jungs hin und bin auch ihretwegen, der wunderschönen Gospelmusik und den kostenlosen Keksen jede Woche wiedergekommen. Nach einigen Monaten habe ich gemerkt, dass ich das, was ich in den Liedern gesungen habe, eigentlich alles glaubte, jedoch nicht lebte. Ich hatte noch keine persönliche Beziehung zu Jesus Christus, wusste aber, dass sich das ändern musste. Also habe ich mich für ein Leben mit Gott entschieden.

Bei meiner Bekehrung hatte ich ein überwältigendes Gefühl von Leichtigkeit. Ansonsten nichts. Eigentlich hätte ich erwartet, dass der Heilige Geist mir ab sofort immer zeigen würde, was richtig und was falsch ist. Aber so war es bei mir nicht. Ich hatte auch weiterhin Sex und habe gestohlen, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben. Und weil das schlechte Gefühl dabei ausgeblieben ist, dachte ich, dass das wohl auch als Christ so in Ordnung sei – das war alles noch bevor meine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt worden ist.

Nach einer Bekehrung hatte ich ein überwältigendes Gefühl von Leichtigkeit. Ansonsten nichts.

Rachel über ihrem Glauben

Durch das Lesen der Bibel habe ich dann aber verstanden, dass Klauen beispielsweise nicht gut ist und habe dann damit aufgehört. Für mich war das sehr herausfordernd, weil die Kriminalität und Sex – auch vor der Kamera – einen so großen Platz in meinem bisherigen Leben hatten.

Nach deiner Heirat mit deinem Mann Dave habt ihr gemeinsam beschlossen, als Missionare nach Europa zu gehen. In der letzten Woche vor der Abreise gab es aber leider wieder einen Vorfall: Du wurdest von einem Arbeitskollegen attackiert und vergewaltigt. Was hat das mit dir, deinem Mann und euren Plänen gemacht?

Rachel: Es klingt jetzt etwas seltsam, aber eigentlich war der Zeitpunkt dieser Vergewaltigung gut. Also der Zeitpunkt, nicht die Vergewaltigung selbst. Ursprünglich wollten wir als Missionare, Menschen in Naturkatastrophengebieten in Europa helfen. Der Sitz unserer Missionsgesellschaft selbst ist in Süddeutschland. Wir hatten bereits unsere Arbeitsstellen gekündigt und auch schon den ersten Lohn von der Missionsgesellschaft bekommen.

Nach der Vergewaltigung hat uns die Missionsgesellschaft ein Jahr geschenkt, in dem wir uns als Familie einfach nur auf Heilung konzentrieren durften. Wir haben die ganze Zeit über Lohn bekommen und waren so finanziell versorgt. In diesem Jahr hat sich alles komplett verändert: Durch unsere Therapien – Dave mit seiner Töpferei und ich mit meinem Tanz und Gesang – hat Gott angefangen uns zu heilen und hat uns gezeigt, dass wir mit unserer Kunst, anderen Menschen unsere Geschichte weitererzählen können. Und das hat vielen geholfen, die Ähnliches erlebt haben.

Ab da wussten wir, dass wir genau das machen möchten: Menschen mit unserer Geschichte helfen. Die Nothilfe in Naturkatastrophengebieten ist sehr wertvoll, aber unsere Vision und Leidenschaft hat sich in diesem Jahr komplett verändert.


Rachel und ihr Ehemann Dave

Bist du nach all dem Missbrauch in deinem Leben heute in der Lage, mit deinem Mann ein normales Sexualleben zu führen?

Rachel: Was ist ein normales Sexleben? (Lacht.) Das definiert doch jeder anders. Die ersten acht Jahre unserer Ehe waren furchtbar, denn da lief fast gar nichts. Ich glaube aber schon, dass wir jetzt ein normales Sexualleben führen. Das bedeutet aber nicht, dass wir keine Probleme haben. Ich bekomme manchmal Flashbacks – das letzte Mal vor zwei Tagen. Und Dave bemerkt das sofort. Auch sind nicht alle meine sexuellen Abhängigkeiten weg, die ich aufgrund meines Missbrauchs entwickelt habe. Ich muss einfach ehrlich und offen zu Dave und meinem Therapeuten sein und weiter an mir arbeiten. Das ist das Wichtigste. Ein „Perfekt“ gibt es bei uns sowieso nicht.

Du sagst, du dienst Gott und deinen Mitmenschen durch Tanz und Gesang – erzähl uns mehr davon!

Rachel: Zusammen mit meinem Mann leite ich den Lobpreis in unserer Gemeinde. Durchs Singen komme ich Gott sehr nah. Das ist für mich immer ein sehr intimer Moment. Egal, wie schlecht es mir geht: Wenn ich singe, bin ich Gott so nah, dass ich das alles vergessen kann.

Wenn ich einen Tanz choreografiere, hat es immer etwas mit dem Kampf nach Freiheit zu tun – Freiheit von schlimmen Erfahrungen oder den Lügen, die wir über uns selbst glauben.

Rachel ist professionelle Tänzerin

Wie hat die Geburt deines ersten Kindes dein Leben verändert?

Rachel: Die Geburt meines ersten Kindes hat alles verändert! Vorher hatte ich immer eine so große Todessehnsucht. Ich wollte unbedingt sterben! Ich habe zum Beispiel für Krebs gebetet, bin absichtlich in gefährlichen Gegenden spazieren gegangen oder bin einfach so auf die Straße gelaufen, in der Hoffnung, dass mich vielleicht ein Auto überfährt. In der Schwangerschaft gab es dann aber einen Moment, in dem ich verstanden habe, dass wenn ich sterbe, auch mein Kind mit mir sterben wird. Diese Erkenntnis hat meine Todessehnsucht völlig verdrängt.

Ich wollte unbedingt sterben! Ich habe zum Beispiel für Krebs gebetet, bin absichtlich in gefährlichen Gegenden spazieren gegangen oder bin einfach so auf die Straße gelaufen, in der Hoffnung, dass mich vielleicht ein Auto überfährt.

Rachel über ihre Einstellung vor ihrem ersten Kind

Ich bete nun schon seit fast 13 Jahren nicht mehr für meinen Tod. Auch wenn ich jetzt schwierige Zeiten durchmache und keine Kraft mehr zum Leben habe, erinnere ich mich daran, dass meine Kinder eine Mutter brauchen.

Auch als Mutter einer jungen Tochter: Welchen Tipp würdest du Mädchen und Frauen geben, die Missbrauch erlebt haben?

Rachel: Es ist wichtig, jemandem davon zu erzählen. Das alleine durchzustehen, ist unfassbar schwer. Wenn du keinen Erwachsenen hast, dem du vertraust, dann wende dich an eine Freundin oder an einen Therapeuten. Es gibt auch Online-Support-Gruppen. Wenn du in eine Gemeinde gehst, dann kannst du dich dort an den Pastor wenden.

Und was ist mit der Polizei?

Rachel: Stimmt, die gibt es auch. (Lacht.) Aufgrund meiner Vergangenheit denke ich nie zuerst an die Polizei. Klar, der Täter muss aufgehalten werden, aber ich kenne fast niemanden, der nach einem Missbrauch zur Polizei gegangen ist. Die Scham ist einfach zu groß. Man muss sich dann ärztlichen Untersuchungen unterziehen lassen und der Polizei alles im Detail erzählen. Das ist dann so, als ob man das alles noch einmal durchmachen muss. Auch der ganze Rechtsprozess ist sehr demütigend und traumatisch für die Opfer. Die Ausnahme ist, wenn der Täter jemand vollkommen Fremdes ist. Dann zeigen die Frauen ihren Vergewaltiger meistens schon an. Aber leider findet der Missbrauch meistens durch jemanden statt, den das Opfer kennt. Einem Bekannten oder gar einem Verwandten.

Rachel, vielen Dank für dieses ergreifende Interview und beste Wünsche für dich und deine Familie!


Rachel (42), gebürtige Amerikanerin, seit 2007 in Deutschland, verheiratet mit Dave (45), Mutter dreier Kinder (13, 10 und 8). Sie tanzt, choreografiert und singt professionell und setzt sich leidenschaftlich für Frauen im Rotlichtmilieu ein.